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Plurale Protestantismen. Korrespondenzkultur und religiöse Gruppenbildung im frühen 18. Jahrhundert
Antragsteller
Professor Dr. Alexander Schunka
Fachliche Zuordnung
Frühneuzeitliche Geschichte
Evangelische Theologie
Evangelische Theologie
Förderung
Förderung seit 2020
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 429838214
Das Vorhaben steht am Schnittpunkt von evangelischer Kirchengeschichte und allgemeiner Geschichte der Frühen Neuzeit. Es thematisiert religiöse Pluralität auf binnenkonfessioneller Ebene. Untersucht werden Praktiken der Vergemeinschaftung innerhalb des deutschen Protestantismus um 1700. Basis sind Korrespondenzen aus Nachlässen dreier Theologen, die in der bisherigen Forschung unterschiedlichen theologischen bzw. frömmigkeitlichen Spektren zugeordnet wurden: der lutherischen Orthodoxie (Ernst Salomon Cyprian), der reformierten Irenik (Daniel Ernst Jablonski) und dem Halleschen Pietismus (August Hermann Francke). Briefe als Quellen für Gruppenbildungsprozesse lassen sich entlang der Korrespondenzpraktiken sowie der Korrespondenzinhalte analysieren. Ziel der ersten Projektphase war es, anhand der Briefwechsel zeitgenössische Vergemeinschaftungsprozesse protestantischer Binnengruppen zu erforschen, Kommunikationspraktiken herauszuarbeiten sowie Inklusions- und Exklusionsmechanismen zu analysieren. Damit wurden die herkömmlichen Zuordnungen protestantischer Gruppierungen („Lutherische Orthodoxie“, „Irenik“, „Pietismus“) als Produkte gelehrt-agonaler Praktiken dekonstruiert. Zugleich ließen sich Grenzen dieser Zuschreibungen aufzeigen. Daraus ergeben sich für die Fortsetzung des Vorhabens neue und weiterführende Fragen nach Struktur, Reichweite und Kohärenz binnenkonfessioneller Gruppen. Sie zielen nicht mehr primär auf horizontale Distanzkommunikation zwischen Theologen, sondern gehen darüber hinaus, indem das epochenspezifische Spannungsverhältnis zwischen Distanz- und Anwesenheitskommunikation auf zweierlei Weise ins Zentrum rückt: 1) Lokale Protestantismen: Die Korrespondenzen werden auf asymmetrische Nahbeziehungen unterschiedlichen sozialen und geschlechtsspezifischen Zuschnitts befragt, deren Analyse lokale Dimensionen religiöser Vergemeinschaftung sichtbar macht. 2) Translokale Protestantismen: Komplementär und eng mit dem ersten Bereich verschränkt werden briefliche Reiseschilderungen untersucht, die wichtige Aufschlüsse über religiös-soziale Raumvorstellungen sowie über das Verhältnis von Mobilität und Immobilität im Selbstbild binnenprotestantischer Gruppierungen ergeben. Das Vorhaben erhellt die Bedeutung brieflicher Kommunikation für religiös-soziale Gruppenbildung im protestantischen Mitteleuropa um 1700. Es trägt zur Grundlagenforschung innerhalb mehrerer geschichtswissenschaftlicher Teildisziplinen bei (Religions-, Mobilitäts-, Kommunikations- und Sozialgeschichte). Die Analyse der Formierung religiöser Gemeinschaften innerhalb vermeintlich homogener konfessioneller Großgruppen und entlang lokaler und translokaler Verknüpfungen bietet wichtige Erkenntnisse hinsichtlich Funktion und Vermittlung konkurrierender Wahrheitsansprüche in gesellschaftlichen Segmenten. Projektergebnisse der Arbeitsgruppe sind eine Monographie mit Quellenedition, eine weitere Monographie, eine Überblicksdarstellung sowie ein Sammelband und mehrere Aufsätze.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen