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„Das könnte den Herren der Welt ja so passen…“ Sacro-Pop als Gesellschafts- und Kirchenkritik junger Katholiken*innen

Fachliche Zuordnung Katholische Theologie
Förderung Förderung seit 2020
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 410907407
 
Der Generationenstreit um „1968“ wurde auch auf dem Feld der Musik ausgetragen. Für Erwachsene war Jazz vielfach als ‚Negermusik‘ rassistisch denunziert, Rock und Pop galten als liturgisch „ungeeignet“, als kult- und kulturgefährdende Amerikanisierung. Musik war daher ein zentrales Protest- und Provokationsmedium.Das Einwandern dieser Musikstile in die Kirchen firmierte unter den Stichworten „Chanson/Schlager“ und „Spiritual/Gospel“ seit ca. 1962, „Jazz-Messe“ seit ca. 1965 und „Sacro-Pop / Neues Geistliches Lied (NGL)“ seit ca. 1970. Diese neuen Musikstile lösten heftige Konflikte um das Verständnis und die Praxis des Katholischseins aus. Die stark (kirchen)politik- oder theologiegeschichtliche Ausrichtung der bisherigen Forschung zur kirchlichen Zeitgeschichte hat in der musikalisch-textlichen Jugendkultur ein eher randständiges Phänomen gesehen. Doch für Semantiken, Praktiken und den Emotionshaushalt einer Generation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen waren die Sacro-Pop-Musicals, die Jugendgottesdienste und die Gruppenkultur der BDKJ-Verbände, der Friedens- und der Umweltbewegung sowie der befreiungstheologisch orientierten Solidaritätsaktionen von entscheidender, Grenzen des Katholizismus aufsprengender Bedeutung.Das Teilprojekt untersucht Produktion, Aufführung und Rezeption von Sacro-Pop sowie wie deren kontroverse Diskussion auf drei Ebenen: 1. Texte – 2. Musik – 3. kritischer Diskurs. 1. Texte: Sacro-Pop-Musicals verknüpfen auf eine provozierende Weise zentrale Patterns der überkommenen religiösen Sprache mit gegenwartspolitischen Themen: Frieden, globale Gerechtigkeit, Ökologie, Sexualität. Sacro-Pop entsprach den Orientierungsbedürfnissen der akademischen Jugend und der linkskatholischen Erwachsenen. 2. Musik: Wie die Texte war auch die Musik gleich anfangs umstritten. Die Musik galt ihren Schöpfern und Fans als Umsetzung des ‚aggiornamento‘, als produktive Kommunikation mit den ‚Zeichen der Zeit‘. Konservative hingegen hörten zur Gottesverehrung ungeeignete Klänge: säkular-amerikanisch, unharmonisch und unliturgisch. 3. Diskurse: Bereits Mitte der 1960er Jahre, unmittelbar nach den ersten Jazz-Messen in Kirchen, formierten die Gegner des Sacro-Pop eine massive Front der Ablehnung und Denunziation. Die Gegner orientierten sich an den Werten der 1950er Jahre und an dem Selbstbild, sich gegen Hitler behauptet und die westdeutsche Gesellschaft im Wiederaufbau wesentlich mitgeformt zu haben. Sacro-Pop etablierte sich stattdessen als Integrationsmedium jener, die von den Überhangproblemen der bundesrepublikanischen Ordnung wie der kirchlichen Neuorientierung nach dem II. Vatikanum getriggert wurden: kritische Aufarbeitung des NS, Konsumkritik und Protest gegen den ‚Mief‘ der selbstgenügsamen West-Republik, Befreiungstheologie, Friedens- und Umweltbewegung. Diesen Diskurs gilt es kritisch aufzuarbeiten.
DFG-Verfahren Forschungsgruppen
 
 

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