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Der nervöse Staat – Ausnahmezustand und Resilienz des Rechts in der Sicherheitsgesellschaft

Fachliche Zuordnung Öffentliches Recht
Förderung Förderung von 2020 bis 2022
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 442782057
 
Die Habilitationsschrift widmet sich sowohl einem modernen Verständnis des Ausnahmezustands als auch einem gewandelten Staatsbild: Seit dem Kreuzberg-Urteil des Preußischen Oberverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1882 markierten „Gefahr“ und „Störer“ die zentralen Komponenten eines auf die Gefahrenabwehr beschränkten Polizey-Begriffs. Um der Freiheitlichkeit willen meinte der liberale Rechtsstaat, das schädigende Ereignis bis kurz vor dessen Eintritt abwarten zu können – auch um den Preis, den letzten Zeitpunkt für ein rechtzeitiges Eingreifen womöglich zu verpassen. Ein solches Risiko nimmt der moderne Präventions- und Vorsorgestaat nicht mehr in Kauf: Er will gefahren-trächtige Geschehensabläufe nicht erst im letzten Moment unterbrechen, sondern sie gar nicht in Gang kommen lassen. Hier wird das mutmaßlich gefährliche Subjekt anstelle des objektiven Kausalgeschehens, der Gefährder anstelle der Gefahr, in den Fokus genommen. Die Person selbst wird zum Bezugspunkt sicherheitsrechtlicher Risikovorsorge gemacht, wobei die Prognose nicht an das kaum kalkulierbare menschliche Individuum anknüpft, sondern dieses als Teil einer Gruppe oder standardisierbarer Situationen behandelt. Subjektivierung und Entindividualisierung gehen Hand in Hand und prägen das moderne Sicherheitsrecht. Auf diese Weise zeigt sich der moderne Staat als nervöser Staat. Skizziert wird ein Staat, der aus ständiger Angst, den letzten Zeitpunkt rechtzeitigen Handelns zu verpassen, schon in der Normallage so handelt, als befinde er sich im Ausnahmezustand. Unter den Bedingungen einer von Globalisierung, Digitalisierung und Dynamisierung geprägten Risiko- und Sicherheitsgesellschaft tritt an die Stelle des verfassungsrechtlichen Ausnahmeregimes ein permanent abrufbares Präventionsrecht, das der Verhinderung der Krise weit im Voraus konkretisierter Gefahren dient. Vorverlagerung, Verstetigung und Vergesetzlichung wirken auf Form und Struktur des Ausnahmezustands zurück. Sie erfordern neue rechtliche Bindungen, die ebenso stabil wie elastisch, ebenso rigide wie flexibel sein müssen. Nur so erweist sich das Recht resilient gegenüber einem antizipierten Ausnahmezustand und ebnet dem Staat den Weg aus der Antizipationsfalle.
DFG-Verfahren Publikationsbeihilfen
 
 

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