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Technologietransfer oder Ideenaustausch? Technologische und typologische Untersuchungen lithischer Kleinfunde des späten PPNA und frühen PPNB (9. Jt. v. Chr.) im Nord-Süd-Vergleich: Das Beispiel Mushash 163 / Jordanien

Fachliche Zuordnung Ur- und Frühgeschichte (weltweit)
Ägyptische und Vorderasiatische Altertumswissenschaften
Förderung Förderung von 2020 bis 2021
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 443011260
 

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Auf der Basis der bis 2019 erfolgten Vorarbeiten (Rohstoffananalyse, Gerätedefinition, statistische Auswertung der Lithikfunde nach Grabungsbereichen und Baustrukturen, Typen-Katalog) sollten in diesem Projekt verschiedene Fragen zu technologischen Aspekten innerhalb der Lithikentwicklung im 9. Jahrtausend v. Chr. sowie zur Ausbreitung der Kultur des frühen PPNB (= Early Pre-Pottery Neolithic/EPPNB) (8600-8200 v. Chr. /kalibrierte Daten) untersucht werden. Im Einzelnen wurden folgende Komplexe behandelt: Analyse der Entwicklung bidirektionaler (naviformer) Kernabbautechniken; Analyse der Geschoss-Spitzentypologie; Überprüfung der bisher vorliegenden Hypothesen zur Entstehung und Ausbreitung des EPPNB-Kulturkomplexes auf der Basis unter 1. und 2. ermittelten Resultate. Analyse der Entwicklung bidirektionaler (naviformer) Kernabbautechniken. Eines der grundlegenden Themen zur Entwicklung des EPPNB bildet die Entstehung und Ausbreitung einer technologischen Neuerung im Bereich der Lithik im Zeitraum ab etwa 9000/8900 v.Chr., der sog. bidrektionalen (naviformen) Kernabbautechniken. Hierbei wird zunächst durch bifaziales Abschlagen eines Silexkerns eine ovale oder trapezförmige Vorform geschaffen, durch die an jedem Ende des Kerns eine Schlagfläche entsteht. Von diesen beiden seitlichen Schlagflächen aus erfolgt die Ausbeutung der Abtragsfläche in komplementärer Weise. Durch diese Technik ist eine wesentlich bessere Kontrolle über die Konfiguration der hergestellten Klingen möglich als bei anderen Schlagtechniken. Der Kern erhält durch die bifaziale Abschlagstechnik eine bootsförmige Kontur, wodurch für diese Kerne auch der Begriff „naviform“ üblich ist. Für Mushash 163, das sich durch eine sehr große Anzahl von Kernfunden auszeichnet, konnten wie in den Gebieten westlich des Jordan, verschiedene Kernabbau-Modi ('One-on-One', 'Predetermined Epsilon' 'Single Dominant Platform´, nach Barzilai 2013) nachgewiesen werden, jedoch in einem wesentlich früheren Zeitraum (ab 8900/8800 v. Chr. vs. 8400/8300 v. Chr.) als dort. Zudem wurden Besonderheiten der Kernzurichtung wie die sog. off-center-Variante erkannt, die offenbar auf Fundorte in den ariden Zonen in Syrien und Jordanien beschränkt sind. Analyse der Geschoss-Spitzentypologie. Da Geschoss-Spitzen zu den wichtigsten Kriterien für die zeitliche Zuweisung frühneolithischer Fundplätze gehören, bildete die Auswertung dieser Geräte auf der Basis relativ- und absolutchronologischer Daten in Mushash 163 eine besonders wichtige Forschungsfrage. Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die „klassische“ Abfolge: Typ el-Khiam =Leitform PPNA/9800-8600 v.Chr., Typ Helwan = Leitform EPPNB/8600-8200 v.Chr., Typ Jericho = Leitform MPPNB/8200-7500 v.Chr. durch die Mushash 163-Daten in Frage gestellt wird. Hier folgen diese drei Typen zeitlich nicht aufeinander, sondern bestehen zeitgleich nebeneinander, d.h. das anfängliche Auftreten von Khiamspitzen wird im Laufe des EPPNB durch Helwan- und Jericho-Spitzen ergänzt. Die Definition von jeweils einer Leitform für bestimmte Zeitabschnitte ist hier also nicht gegeben, was auch durch die zahlreichen Radiokarbondaten der jeweiligen Fundkontexte bestätigt wird. Überprüfung der bisher vorliegenden Hypothesen zur Entstehung und Ausbreitung des EPPNB-Kulturkomplexes auf der Basis unter 1. und 2. ermittelten Resultate. Die bisherigen Theorien zur Verbreitung der bidirektionalen (naviformen) Kern- und Klingentechnologie vermuteten eine Entstehung im Bereich des mittleren Euphrats am Ende des PPNA, Beginn EPPNB, von wo aus sich die neue Technik nach Süden ausgebreitet haben soll. Fundorte wie Mureybet, Tell Sheikh Hasan und Djadé el-Mughara am Euphrat galten daher lange als “technologisches Innovationszentrum”. Die neuen Daten aus Mushash 163 sowie einigen anderen Siedlungen in der jordanischen Wüstensteppe (Badia) (Harrat Juhayra 202, ´Ainab 1) deuten jedoch auf zeitgleiche Lithikentwicklungen wie in der Euphratregion, so dass hier wohl eine “polyzentristische Ideenbildung” vorliegt, deren Gründe jedoch nach wie vor unklar sind. Das sog. “Badia-EPPNB” wird inzwischen als eigener Kulturkomplex angesprochen, zu dessen Definition die Ergebnisse aus Mushash 163 maßgeblich beigetragen haben.

 
 

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