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Konfliktvermeidung und Konfliktbeilegung in Gesellschaften ohne Zentralgewalt. Sozialtheoretische Modelle auf der Grundlage ethnographischer Evidenzen und ihre Relevanz für die Archäologie

Fachliche Zuordnung Ur- und Frühgeschichte (weltweit)
Soziologische Theorie
Förderung Förderung von 2020 bis 2024
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 446715504
 
Als selektiv überlieferte materielle Relikte sind die Daten der Prähistorischen Archäologie nicht ohne Weiteres aus sich selbst heraus verständlich. Eine Möglichkeit, bei ihrer sozialhistorischen Interpretation modernistische Projektionen zu vermeiden, besteht in der Konsultation ethnographischer Dokumentationen vorstaatlicher Gesellschaften, die in dem Projekt im Hinblick auf Konfliktvermeidung und Konfliktbewältigung systematisch ausgewertet werden. In der Prähistorischen Archäologie vollzog sich in den vergangenen 20 Jahren eine Abkehr von zuvor dominierenden Vorstellungen einer weitgehend friedlichen Vergangenheit und eine Hinwendung zu der Untersuchung von Konflikt- und Gewaltphänomenen. Den Hintergrund dieses Perspektivenwechsels bilden nicht nur spektakuläre, von Gewaltereignissen zeugende Befunde wie die von Talheim oder aus dem Tollensetal, sondern auch neuere ethnologische Modelle, die ein hobbesianisches Bild permanenter Feindseligkeit für Gesellschaften ohne Zentralgewalt zeichnen. Ihnen zufolge stellten gewaltförmige Konflikte keine erklärungsbedürftigen Ausnahmen dar, sondern waren selbstverständlicher Bestandteil des Lebens der Individuen und Gruppen. Aus der auch quellenbedingten Konzentration der Forschung auf faktische Gewalthandlungen unter Vernachlässigung erfolgreich vermiedener oder in einer frühen Phase beendeter Konflikte resultieren einseitige, ins Bellizistische verzerrte Szenarien der Lebenswirklichkeit prähistorischer Gesellschaften. Das Ziel des Projektes besteht deshalb darin, realistische, sowohl sozialtheoretisch angeleitete als auch empirisch gesättigte Modelle des Umgangs von Gruppen ohne Zentralgewalt mit Gewaltkonflikten zu formulieren und diese dann zu den archäologischen Interpretationen, Narrativen und Diskursen in Beziehung zu setzen. Gefragt wird in einer kulturvergleichenden Perspektive danach, wie solche Gruppen den Ausbruch von Gewalt verhindern oder nach ihrem Ausbruch auf den unterschiedlichen Eskalationsstufen Konfliktlösungen herbeiführen können. Einen Schwerpunkt der Projektarbeit bilden die Effekte von Strukturen der Reziprozität, sowohl in ihrer positiven, friedliche Sozialbeziehungen stiftenden und aufrechterhaltenden Variante als auch im Sinne einer negativen, die Wechselseitigkeit schädigenden Verhaltens auf Dauer stellenden Reziprozität. Ein weiterer Fokus liegt auf den Bedeutungen, welche der materiellen Kultur bei Konfliktvermeidungen und -lösungen zukommt, das heißt auf der Frage, welche Funktionen der Erinnerung und Vergegenwärtigung Objekte für das soziale Gedächtnis von Gruppen übernehmen, die nicht über eine Schriftkultur verfügen, und wie die Praktiken beschaffen sind, in denen sie Verwendung finden. In methodischer Hinsicht verbindet das Projekt ein qualitatives, fallrekonstruktives Forschungsdesign mit einer großen Fallzahl, so dass sich über Einzelfallanalysen hinaus verallgemeinerungsfähige Aussagen treffen und zu theoretischen Modellen verdichten lassen.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
 
 

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