Sentencing for intoxication (sec. 323a StGB) – A legal-dogmatic and empirical study
Final Report Abstract
Die Auswertung der tatrichterlichen Strafzumessung bei Vollrausch (§ 323a StGB) hat gezeigt, dass die rechtsdogmatischen Probleme der Strafzumessung, die aus der Auslegung des Vollrauschs als abstraktes Gefährdungsdelikt resultieren, auch in der praktischen Handhabung und Anwendung problematisch sind und von den Tatrichtern nicht überzeugend aufgelöst werden können. Obwohl das vom Täter schuldhaft verwirklichte Unrecht des Vollrauschs im abstrakt gefährlichen Sich-Berauschen gesehen wird, spielen Umstände des Sich-Berauschens im Rahmen der Strafzumessung, insbesondere bei der Verhängung von Freiheitsstrafen, nahezu keine Rolle. Erstaunlicherweise kommt insbesondere der Vorhersehbarkeit der Rauschtat bzw. einer Ausschreitung im Rausch allgemein weder ein bedeutender statistischer Einfluss auf das Strafmaß zu, noch ist wird diese Tatsache in der richterlichen Strafzumessungsbegründung im Urteil in nennenswerter Zahl thematisiert. Das Gleiche gilt für die Unterscheidung in vorsätzliches und fahrlässiges Sich-Berauschen. Da für beide Tatbestandsalternativen derselbe Strafrahmen angedroht ist, ist aus theoretischer Sicht das fahrlässige Sich-Berauschen gegenüber dem vorsätzlichen Sich-Berauschen milder zu bestrafen. Praktisch schlägt sich diese Unterscheidung jedoch nicht wesentlich im Strafmaß nieder. Demgegenüber kommt der Art und Schwere der Rauschtat ein umso größerer Einfluss auf das Strafmaß zu. Allein anhand der Deliktschwere der Rauschtat können zwischen 30 und 40 % der Varianz der Strafhärte im Rahmen multivariater Analysen erklärt werden. Mit zunehmender Schwere der Rauschtat, steigt das Strafmaß ebenfalls an. Umgekehrt lässt sich bei den Rauschtaten mit dem geringsten Strafrahmen von Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe deutlich geringere Mittelwerte feststellen, als bei Rauschtaten mit höheren Strafrahmen. Anhand der Formulierungen in der schriftlichen Strafzumessungsbegründung kann nicht festgestellt werden, dass die Rechtsprechung Umstände der Rauschtat lediglich als „Indiz“ für die Gefährlichkeit des Sich-Berauschens bewertet. Die Begründungen lassen einen Bezug zum Sich-Berauschen in der überwiegenden Zahl der Fälle entweder in Gänze vermissen oder der Gesamtkontext der Strafzumessungsbegründungen belegt vielmehr, dass das Sich-Berauschen im konkreten Fall im Gegenteil weniger schwerwiegend ausfällt. Die Untersuchung der Strafzumessung bei Vollrausch belegt, dass es sich bei der höchstrichterlich begründeten Berücksichtigung der Rauschtat als „Indiz“ für die Gefährlichkeit des Rauschs um eine inhaltsleere Floskel handelt, die keinen echten Vorwerfbarkeitsbezug zur Rauschtat begründen kann. Nach alledem stellt die derzeitige Strafzumessungspraxis bei Vollrausch, die sich maßgeblich an der Schwere der Rauschtat orientiert, einen Verstoß gegen das strafrechtliche Schuldprinzip dar. Zukünftig sollte die Rechtsprechung darauf verzichten, die Rauschtat auf Strafzumessungsebene strafschärfend zu verwerten, sofern sie an ihrer Auffassung des Vollrauschs als abstraktes Gefährdungsdelikt festhält. Dass die höchstrichterliche Rechtsprechung eine solche Kehrtwende vollzieht, muss allerdings in Anbetracht gefestigten Linie bezweifelt werden. Alternativ wird an den Gesetzgeber appelliert, den Tatbestand des Vollrauschs einer Reform zu unterziehen und für hohe Freiheitsstrafen über einem Jahr Dauer einen Vorwerfbarkeitsbezug zur Rauschtat auf tatbestandlicher Ebene zu fordern.
