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Das sozialpsychologische Führungskräftetraining der DDR als transnationale Technologie des Selbst, 1960er–1990er Jahre

Antragstellerin Dr. Verena Lehmbrock
Fachliche Zuordnung Wissenschaftsgeschichte
Förderung Förderung seit 2021
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 456325095
 
Ausgangspunkt des vorliegenden Projekts ist die wenig bekannte Tatsache, dass in der DDR ein sozialpsychologisches Führungskräftetraining existierte, dessen Methoden westlich des ‚Eisernen Vorhangs‘ emphatisch als Technologien der Freiheit aufgefasst wurden und in der BRD beispielsweise als Verfahren der Selbst-Demokratisierung eingesetzt wurden. In der DDR rezipierten akademische Sozialpsychologen in den 1960er Jahren einschlägige US-amerikanische Quellen – dies größtenteils verschleiert – und entwickelten ab den späten 1960er Jahren ein Trainingsprogramm für sozialistische Führungskräfte in Verwaltung, Bildung und vor allem der Industrie, das sie ab den späten 1970er Jahren auch in die Sowjetunion und nach Südamerika exportierten. Den zum Teil auffälligen Parallelen, aber auch Unterschieden des Führungskräftetrainings in Ost und West wurde in der Forschung bislang kaum Rechnung getragen. Warum und auf welche Weise konnten psychotherapeutische und gruppendynamische Verfahren, die in westlichen Gesellschaften mit liberal-demokratischen Annahmen einhergingen, zugleich in einer kollektivistischen Gesellschaft, Parteidiktatur und geplanten Ökonomie eingeführt werden? Was geschah mit den entsprechenden Psychotechniken beim Grenzübertritt, und wie lässt sich ihre scheinbar systemunabhängige Adaptivität erklären? Auf Basis bislang unberührter Archivquellen, Publikationen und Gesprächen mit Zeitzeugen wird das vorliegende Projekt die lokalen, aber auch transnationalen und insbesondere blockübergreifenden Verflechtungen des sozialpsychologischen Trainings in der DDR im Detail rekonstruieren. Der vorwiegend in nationaler Perspektivierung erreichte Kenntnisstand über die bislang ohnehin wenig beachtete Anwendungsforschung der DDR-Sozialpsychologie wird damit erweitert und für eine Untersuchung im Spannungsfeld von Cold War Social Sciences, Gouvernementalität und multipler Hochmoderne geöffnet. Die auffällige Kontinuität des Trainings über den Systemumbruch 1989/90 hinweg wird bewusst in die Untersuchung miteingeschlossen, deren Untersuchung weitere Erkenntnisse zu polyvalenten und insbesondere blockübergreifenden Aspekten des Führungskräftetrainings verspricht. Das Projekt möchte eine differenzierte Betrachtungsweise auf Prozesse der Psychologisierung im Staatssozialismus entwickeln, welche bislang mit Schlagworten wie ‚Therapeutisierung‘ und ‚Psychoboom‘ fast ausschließlich als westliches Phänomen konzeptualisiert wurden.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
 
 

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