Reisende Dinge // Reisende Bedeutungen: Eine transkulturelle Untersuchung der Akkulturation von Konsumgütern zwischen 1918 und 1939
Final Report Abstract
Das Projekt hat sich der kulturwissenschaftlichen Untersuchung kulturübergreifender Konsumprozesse gewidmet. Konkret wurde untersucht, inwiefern sich Wert und Bedeutung einzelner Güter verändern, wenn sie von einem Kulturkreis in einen anderen wandern. Was passiert also etwa, wenn chinesisches Essen nicht in China, sondern in den USA konsumiert wird? Ist es tatsächlich dasselbe Essen, materiell gesehen? Wie unterscheidet sich die Bedeutung, die dieses Essen für den Konsumenten hat, zwischen einem chinesischen Esser und einem amerikanischen? Was bedeutet es etwa für einen deutschen Autofahrer, ein amerikanisches Auto zu fahren? Und was ist amerikanisch an einem Auto, das in Deutschland von deutschen Arbeitern mit deutschen Materialien hergestellt wurde? Warum ist es etwa für einen deutschen Leser wichtig, dass der von ihm goutierte Krimi aus dem Anglo-Amerikanischen stammt? Und warum hält er den Detektiv für britisch, auch wenn er von einer Deutschen erfunden wurde und er in Berlin ermittelt? Zum Vorschein kam bei den Untersuchungen zunächst einmal, dass Konsum in der Moderne in einem kaum zu unterschätzendem Maße den Erwerb von fremden Gütern bedeutet. Vom Kaffee am Morgen bis zum Seiden-Pyjama am Abend sind wir von Waren umgeben, die ihren Ursprung woanders haben. Nicht immer spielt diese Herkunft eine Rolle, wie etwa bei der inzwischen ‘eingedeutschten’ Kartoffel; aber stets kann diese Herkunft wieder hervorgehoben werden, wie die Umbenennung der Pommes Frites in ‘Freedom Fries’ im Zuge anti-französischer Ressentiments in den USA gezeigt hat. Dass Ford-Autos als ‘amerikanische Gefahr’ wahrgenommen wurden, so zeigten unsere Untersuchungen, hat etwas mit den spezifischen sozio-kulturellen und politischen Kontexten der Weimarer Republik zu tun; später spielte diese Herkunft kaum noch eine Rolle. Der Verweis auf die Herkunft konnte dabei genau so zu Steigerung der Attraktivität genutzt werden, etwa in dem chinesisches Essen als exotisch-anders und amerikanische Autos als fortschrittlich-modern dargestellt wurden; ebenso gut konnte die Herkunft zu Zwecken der Wertminderung aufgerufen werden, etwa indem amerikanische Krimis als jugendgefährdend dargestellt wurden, oder chinesisches Essen als unhygienisch-hinterwäldlerisch. Die tatsächliche Bedeutung des jeweiligen Gutes im Ursprungsland spielte dabei meist kaum eine Rolle; ‘chinesisches Essen’ existiert in China so nicht, sondern eine Vielzahl regionaler und schichtspezifischer Küchen, genauso wie Ford in Amerika nicht in erster Linie als amerikanisches, sondern als ein Auto für ländliche Gebiete wahrgenommen wurde. Zudem zeigten unsere Untersuchungen, dass die ‘Erfindung’ und Umdeutung kulturspezifischer Werte ganz unterschiedliche Profiteure hat: Dies können sowohl die chinesisch-stämmigen Restaurantbetreiber sein, die den Amerikaner ihre exotistischen Wünsche erfüllen, als auch die deutschen Verleger, die amerikanische Erzählmuster übernehmen. Als entscheidend erwies es sich deshalb, die jeweiligen Akteure in den Blick zu nehmen, welche die Um- und Neudeutungen vornahmen, und die strukturellen Kontexte, die den Möglichkeitsraum dieser Deutungen vorgaben. Neben den inhaltlichen Ergebnissen hat die Arbeit am Projekt auch eine Reihe von Erkenntnissen hervorgebracht, die die methodologischen Rahmenbedingungen kulturwissenschaftlichen Forschens betreffen und die es weiter zu analysieren gilt. Die Arbeit der Gruppe wurde in der Beilage „Unizeit“ der Kieler Nachrichten vom 09.04.2011 unter dem Titel „So schmeckt die Welt“ vorgestellt.
Publications
- Fashioning Society, or, The Mode of Modernity. Observing Fashion in Eighteenth-Century Britain. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2010, ZAA Monograph Series Bd. 12. (=Habilitationsschrift Huck)
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Huck, Christian
- „Ford im Zwischenkriegs-Berlin. Notizen zur Benennung von Ford als amerikanischer Gefahr“, Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften, Sonderausgabe 21/2: Nationalisierende Produktkommunikation (2010): 173-187
Bauernschmidt, Stefan
- uck, Christian, und Stefan Bauernschmidt (Hrsg.): Travelling Goods, Travelling Moods. Varieties of Cultural Appropriation (1850-1950). Frankfurt/Main: Campus Verlag, 2012.
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- „American Dime Novels on the German Market. The Role of Gatekeepers“, in: Travelling Goods, Travelling Moods. Varieties of Cultural Appropriation (1850- 1950). Eds. Christian Huck and Stefan Bauernschmidt. Frankfurt/Main: Campus Verlag, 2012, 105-124.
Huck, Christian
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Schinko, Carsten
- „Cook at Home in Chinese. Mediating Chinese Food for American Kitchens“, in: Travelling Goods, Travelling Moods. Varieties of Cultural Appropriation (1850-1950). Eds. Christian Huck and Stefan Bauernschmidt. Frankfurt/Main: Campus Verlag, 2012, 45-60
Weishaupt, Sonja
- „Ford in Interwar Berlin. Perception and Appropriation“, in: Travelling Goods, Travelling Moods. Varieties of Cultural Appropriation (1850-1950). Eds. Christian Huck and Stefan Bauernschmidt. Frankfurt/Main: Campus Verlag, 2012,169-188
Bauernschmidt, Stefan
- „Introduction. Mobility, Transfers, and Cultural Approbiation“, Transfers. Interdisciplinary Journal of Mobility Studies 2.3 (2012): 76-80
Huck, Christian
- „The Mobilization of Appropriation: Comment on the Special Section on Cultural Appropriation“, Transfers: Interdisciplinary Journal of Mobility Studies 2.3 (2012): 144-150
Schinko, Carsten
- „Trans-Cultural Appropriation“, in: Travelling Goods, Travelling Moods. Varieties of Cultural Appropriation (1850-1950). Eds. Christian Huck and Stefan Bauernschmidt. Frankfurt/Main: Campus Verlag, 2012, 229-252
Huck, Christian, und Stefan Bauernschmidt
- „Travelling Detectives. Twofold Mobility in the Appropriation of Crime Fiction in Interwar Germany“, Transfers. Interdisciplinary Journal of Mobility Studies 2.3 (2012): 120-143
Huck, Christian
- „The Total Mobility of the Dime Novel Detective“, in: Perspectives on Mobility. Eds. Ingo Berensmeyer and Christoph Ehland. Amsterdam, New York: Editions Rodopi, 2013, 31-49
Huck, Christian
- Gotham Chop Suey: Über den kulturellen Transfer chinesischen Essens in New York vor 1940. Kieler Studien zur Volkskunde und Kulturgeschichte, 11. Münster: Waxmann, 2015. 269 S. (=Dissertation Sonja Weishaupt) 9783830931775
Weishaupt, Sonja