Jürgen Habermas als Sozialtheoretiker und öffentlicher Intellektueller: Leben, Werkentwicklung und zeitgeschichtlicher Kontext
Final Report Abstract
Die Forschungsergebnisse stellen unter Beweis, in welchem Umfang und mit welcher zeitlichen Kontinuität sich Habermas neben seiner Tätigkeit als lehrender und forschender Philosoph und Soziologe an die politische Öffentlichkeit gewandt hat (vgl. Müller-Doohm 2008, S. 130 ff.). Insbesondere die Befunde der Medienanalyse auf der Grundlage jener von Habermas ausgelösten öffentlichen Kontroversen belegen„dass er in der Rolle des engagierten Intellektuellen die zentralen Selbstverständigungsdiskurse in Deutschland mit geprägt und so Einfluss auf die deutsche Mentalitätsgeschichte der letzten Jahrzehnte genommen hat. Er steht damit in der Tradition einer an die mündige Öffentlichkeit adressierten aufklärenden Kritik, wie sie etwa von Karl Jaspers, Hannah Ahrendt, Theodor W. Adorno u.a. praktiziert worden ist. Für Habermas sind seine Eingriffe als öffentlicher Intellektueller eine Kritik an politischen Zuständen und Entwicklungen, die im Lichte von moralischen Grundsätzen und demokratischen Normen beurteilt werden. Da dieser Maßstab der Kritik in seinen philosophischen Schriften expliziert wird (Formalpragmatik, Diskursethik, Theorie der Geltungsansprüche, Konzept von Rechtsstaat und deliberativer Demokratie), gibt es bei ihm ein Wechselverhältnis zwischen den Intentionen des Wissenschaftlers und des öffentlichen Intellektuellen, das freilich (wie am Beispiel seiner Intervention zum Kosovo-Krieg sowie zum 2. Irakkrieg gezeigt wurde) auch Brüche einschließt. Durch die direkten Kontakte zur Person von Jürgen Habermas und seiner Frau überwiegend im Privathaus in Starnberg und durch die singulare Möglichkeit, die Korrespondenzen von Habermas (Vorlass) sowie seine Entwürfe für eine Autobiographie zu sichten, hat sich ein für die Biographieforschung typisches Problem gestellt: Das Problem zwischen Distanz und Nähe, das sich in diesem Fall in besonderer Weise sichtbar gemacht hat, derm hier ist die Biograph mit der Aufgabe konfrontiert, die Lebensgeschichte einer lebenden Person zu rekonstruieren. Als wichtige Erfahrung bei den vorbereitenden Forschungsarbeiten für eine umfassender biographische Studie (als die vorlegende Basisbiographie) kann festgehalten werden, dass sich der Anspruch auf wissenschaftliche Objektivität im strikten Sinne kaum erfüllen lässt. Ein gewisses Maß an Identifikation mit dem Gegenstand biographischen Forschens ist ebenso erforderlich wie es unerlässlich ist, durch methodisch kontrollierte Analyse von Dokumenten die Position des Bobachters einzunehmen. Bei der Biographie forschung bedarf es der Kunst des Abstandnehmens sowie der hermeneutischen Nähe gleichermaßen. Die spezifisch soziologische Herangehensweise zeichnet sich dadurch aus, dass der Gegenstand - die Lebensgeschichte einer Person - in den sozialen und zeitgeschichtlichen Kontext gestellt wird. Es geht somit um eine immer dichtere Beschreibung dieses Kontextes. Darüber hinaus, so lässt sich rückblickend sagen, richtet der Soziologe sein Blick nicht nur auf das, was als typisch auffällt, sonder auch auf die Brüche und Unstimmigkeiten, auf die Diskontinuitäten. Was sich im Sinne eines abschließenden Resümee festhalten lässt, ist die schon im Zusammenhang mit der biographischen Adorno-Forschung (Müller-Doohm 2003) gewonnene Einsicht, dass die Biographie immer zugleich weniger und mehr ist als das Beschriebene. Was zu Beginn und im Laufe der Forschungsarbeit nicht vorauszusehen war, ist die Tatsache, dass aus Anlass des 80. Geburtstages von Habermas ein ganzes Buch mit Interviews zu seiner Person erschienen ist und darüber hinaus von Weggefährten Rückblicke und Erinnerungen veröffentlicht wurden. Dies war der Grund für die Entscheidung, das Vorhaben, in größerem Umfang eigene Interviews mit Zeitzeugen durchzuführen und auszuwerten, nur in begrenztem Umfang realisiert wurde. Gleichzeitig entstanden jedoch durch die singulare Möglichkeit, diverse private Briefwechsel einsehen und auswerten zu können, neue Forschungsaufgaben und -Perspektiven, die dem Projekt äußerst dienlich waren.
Publications
- Fliegende Fische, eine Soziologie des intellektuellen in 20 Porträts, Frankfurt a. M., 2008 (Fischer Verlag)
Jung, Thomas/Müller-Doohm, Stefan
- Die Lava des Gedankens im Fluss, eine Werkschau, Oldenburg 2009 (Isensee-Verlag)
Müller-Doohm, Stefan/ Schopf, Wolfgang/ Thiele, Franziska
- Einblicke/Uni Oldenburg, Nr. 50/2009
Müller-Doohm, Stefan
- Forschung Frankfurt, 2/2009
Müller-Doohm, Stefan