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Rechtswidriges Recht“: Die Merkl–Sander-Kontroverse innerhalb der Wiener Schule der Rechtstheorie

Antragsteller Rodrigo Garcia Cadore
Fachliche Zuordnung Grundlagen des Rechts und der Rechtswissenschaft
Förderung Förderung seit 2022
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 513193193
 
Täglich werden Entscheidungen von Staatsorganen sowohl in der Öffentlichkeit als auch unter Fachleuten kritisiert und für „fehlerhaft“ oder „falsch“ erklärt. Das meint häufig nichts anderes, als dass Rechtsentscheidungen rechtswidrig getroffen worden wären. Was aber soll das genau heißen? Just in Bezug auf das Problem des „rechtswidrigen Rechts“ spalteten sich die Geister innerhalb der Wiener Schule der Rechtstheorie um Hans Kelsen (1881–1973). Die Konzeptionalisierung dieser Fragestellung bildete den Kern einer Kontroverse zwischen zwei seiner Habilitanden: Adolf Julius Merkl (1890–1970) und Fritz Sander (1889–1939). Diese Kontroverse thematisierte die Fehleranfälligkeit des Rechts als Menschenwerk, mobilisierte die gesamte Wiener Schule im Zeitraum von 1918 bis 1930 und trug erheblich dazu bei, die Reine Rechtslehre zu dem zu machen, was sie schlussendlich geworden ist. Auf dem Spiel stand nicht weniger, als die Frage, wer über die Rechtmäßigkeit einer Rechtsentscheidung entscheidet und welche Konsequenzen daraus folgen. Während Merkl der Rechtswissenschaft das Primat zuschrieb, beharrte Sander auf dem Primat des Rechtsverfahrens bzw. der -praxis. Sie markierten damit die äußersten Punkte eines Spektrums, in dem sich auch die anderen Mitglieder der Schule einreihen lassen. Meine Arbeit befasst sich mit dieser bisher unerforschten und nahezu unbekannten Kontroverse; sie will eine Polemographie sein – eine ideen- und intellektuellgeschichtlich informierte rechtstheoretische Rekonstruktion einer schulimmanenten Polemik, die bislang nicht erschlossenes Archivmaterial nutzt und folgende Erkenntnisgewinne für sich beansprucht:1. Die Polemographie wird als Strategie für die Untersuchung von Rechtstheorien im Allgemeinen aufbereitet, denn Ansätze können genauer erfasst werden, wenn man konkurrierende Modelle im Kollisionsmodus beobachtet.2. Der Text bietet auch eine Interaktionsgeschichte der Wiener Schule, indem Fragmente der Struktur und Facetten der Diskursdynamik dieses Forschungsnetzwerks zum ersten Mal in ein kohärentes Narrativ gebracht werden.3. Die Rechtstheorien Merkls und Sanders werden in origineller Form zum ersten Mal selbständig präsentiert. Die Rechtsverfahrenstheorie Sanders wird (wieder)entdeckt. Fortan soll gelten: Ohne die Berücksichtigung der Beiträge Merkls und Sanders kann die Reine Rechtslehre nicht tiefgründig erfasst werden.4. Die Vielfalt der Reinen Rechtslehre(n) wird durch die Aufdeckung von grundlegend unterschiedlichen Ansichten zum Ausdruck gebracht: Ausgehend von denselben Prämissen können ganz unterschiedliche Ergebnisse erzielt werden, ohne dass die Reine Rechtslehre verlassen wird.5. Die Wiederentdeckung alternativer Lösungsangebote für das Problem des „rechtswidrigen Rechts“ macht die Reine Rechtslehre für die heutige Diskussion anschlussfähiger und das Primat der Rechtswissenschaft wie das des Rechtsverfahrens werden für weitere rechtstheoretische Forschungen als Begriffsschema nutzbar gemacht.
DFG-Verfahren Publikationsbeihilfen
 
 

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