Taiwans prekäre Partnerschaften: Chinesische Medizin als Form von public und everyday diplomacy in Süd-Süd-Kollaborationen

Antragsteller Professor Dr. Hansjörg Dilger
Fachliche Zuordnung Ethnologie und Europäische Ethnologie
Förderung Förderung seit 2023
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 514223576
 

Projektbeschreibung

Die Verbreitung der chinesischen Medizin weltweit wird heute vor allem von der Volksrepublik China als explizites Mittel der cultural diplomacy mit dem Ziel der Erlangung von soft power vorangetrieben. Die Verwendung solch diplomatischer Mittel ist aber auch von besonderer Bedeutung für marginalisierte Regierungen wie zum Beispiel Taiwan, das bis heute von der internationalen Staatengemeinschaft und Zusammenschlüssen wie der UN und der Weltgesundheitsorganisation weitgehend ausgeschlossen ist. Initiativen Taiwans in diesem Bereich richten sich vor allem an Länder des "Globalen Südens", um auf diesem Weg neue Partnerschaften – und damit neue Formen der staatlichen Legitimation – unter prekären Bedingungen zu etablieren. Dieses Projekt wird im Rahmen einer ethnografischen Langzeitforschung Initiativen der diplomatischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der chinesischen Medizin in Taiwan unter der New Southbound Policy untersuchen und dabei der Frage nachgehen, wie "traditionelle" Medizin im Kontext asymmetrischer globalpolitischer Machtverhältnisse in Projekte diplomatischer Einflussnahme eingebettet wird; wie sie sich aktiv formend in die Herstellung sozialer und politischer Beziehungen einbringt; und wie sie sich schließlich in ihrer Praxis und Vermittlung selbst verändert. Im Kontext der in Taiwan zwar in das Gesundheitssystem integrierten, aber dennoch unter biomedizinischer Hegemonie marginalisierten chinesischen Medizin gehen wir davon aus, dass in transnationalen Austauschkontexten tätige Praktizierende auf komplexe Weise die Anliegen ihrer Profession und gleichzeitig nationalpolitische Vereinnahmungen navigieren müssen. Diese Anliegen können mitunter deckungsgleich sein und Kooperation ermöglichen, aber auch von Widersprüchen, z.B. in Bezug auf die regulatorische Rolle der Biomedizin, geprägt sein. Unter Berücksichtigung kritischer (medizin-)ethnologischer Perspektiven auf chinesische Medizin, anthropologischen Konzeptionen von public und everyday diplomacy und Global Health beschäftigt sich das Vorhaben folglich mit neu entstehenden transnationalen Beziehungen und Praktiken an der Schnittstelle von "spezifisch taiwanischen" und global hegemonialen medizinischen und diplomatischen Initiativen und Diskursen. Mit diesem Ansatz eröffnet das Vorhaben grundlegend neue Perspektiven auf Taiwans Rolle in der Globalen Gesundheit im Kontext von Süd-Süd-Beziehungen mit Blick auf die Bedeutung staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure in der Aushandlung (transnationaler) politischer Interessen am Beispiel der Vermittlung und klinischen Praxis der chinesischen Medizin.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen