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Rechtsmobilisierung im europäischen Verfassungsgerichtsverbund am Beispiel organisierter Interessen in der Bundesrepublik Deutschland
Antragsteller
Dr. Stefan Thierse
Fachliche Zuordnung
Politikwissenschaft
Förderung
Förderung seit 2023
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 517912137
Unter Schlagworten wie Verrechtlichung (juridification), Rechtsmobilisierung (legal mobilization) und strategischer Prozessführung (strategic litigation) beschäftigt sich eine umfangreiche, an der Schnittstelle von Rechts- und Politikwissenschaft angesiedelte Literatur mit der Frage, unter welchen Bedingungen und mit welchen Folgen das Recht in Anschlag gebracht wird, um politische Entscheidungen zu beeinflussen. Im Vordergrund stehen dabei in Abhängigkeit der Disziplin entweder soziale Bewegungen und zivilgesellschaftliche Organisationen, Interessenverbände oder einzelne Bürger:innen. Das vorliegende Vorhaben geht der folgenden Frage nach: Mit welchen Zielen und in welcher Form organisierte nutzen organisierte Interessen das Rechtssystem? Der bisherige Stand der Forschung soll in dreierlei Hinsicht erweitert werden. Erstens nimmt das Projekt eine akteursvergleichende Perspektive ein, die neben Verbänden und Nichtregierungsorganisationen auch Unternehmen erfasst. Zweitens gilt ein besonderes Augenmerk dem Stellenwert, den die Berufung auf Grundrechte im Zusammenhang mit einer Strategie justizieller Interessenvermittlung hat. Drittens – und damit zusammenhängend – widmet sich das Projekt der Frage, welche Konsequenzen sich aus der Struktur des Grundrechtsschutzes im europäischen Verfassungsgerichtsverbund für die Rechtsmobilisierung ergeben: In diesem Verbund existieren neben den in der nationalen Verfassung verankerten Grundrechten mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Europäischen Menschenrechtskonvention weitere Grundrechtskataloge, aus denen Individuen und Organisationen Rechtsansprüche ableiten und mithilfe derer sie Grundrechtsverstöße geltend machen können. Gleichzeitig existieren voneinander unabhängige, aber miteinander verschränkte Höchst- und Verfassungsgerichte, die vorgebliche Grundrechtsverstöße prüfen. Das Projekt bedient sich eines mixed-methods-Designs. Mithilfe explorativer Interviews mit Vertreter:innen aus 50 Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland wird in einem ersten Schritt analysiert, welche Absichten, Ziele und organisationsinternen Abwägungen hinter der Mobilisierung des Rechts stehen und welche situativen, kontextuellen Faktoren die strategischen Überlegungen beeinflussen. In einem zweiten Schritt wird eine Umfrage unter rund 3500 Organisationen durchgeführt, die Aufschlüsse über die relative Bedeutung des Klagewegs, den Stellenwert grundrechtlicher Erwägungen im Zusammenhang mit Rechtsmobilisierung sowie Erfahrungen mit rechtlichen Auseinandersetzungen liefert. Mit einer akteurzentrierten Perspektive auf das Phänomen Rechtsmobilisierung, die qualitative und quantitative Forschungszugänge kombiniert, schlägt das Projekt eine Brücke zwischen der Interessengruppenforschung und der interdisziplinären Forschung zu Recht und Politik und liefert neue Erkenntnisse über die Bedeutung des Rechts im Zusammenhang mit demokratischer Interessenvermittlung.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen