2/1-3/2-Umwandlung von Mullit: Mechanismen und Kinetik
Final Report Abstract
Eine wesentliche Fragestellung des von dem DLR Köln und der TU Clausthal gemeinsam durchgeführten Forschungsvorhabens war die Aufklärung der Umwandlungsmechanismen von (Al2O3-übersättigtem) 2/1-Mullit (Al2O3/SiO2 = 2/1) in stöchiometrischen 3/2-Mullit (Al2O3/SiO2 = 3/2). Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass die Al2O3-reicheren 2/1-Mullitmischkristalle, die bei der Kristallisation aus aluminiumsilikatischen Schmelzen entstehen, selbst bei Temperaturen oberhalb von 1600 °C nur äußerst langsam die Gleichgewichtszusammensetzung (im Gleichgewicht mit der SiO2-reichen Schmelze) annehmen. Um die Rolle der koexistierenden Schmelzphase zu verstehen, wurde das Umwandlungsverhalten von 2/1-Mullitkristallen, die in Kontakt mit unterschiedlich zusammengesetzten silikatischen Schmelzen stehen, untersucht. Hierzu wurden einerseits Fe- Silikatschmelzen, die einen Einbau von Fe in die Mullitstruktur hervorrufen, und andererseits La-Silikatschmelzen, die keinen nennenswerten Einbau von Fremdionen in die Mullitstruktur bewirken, eingesetzt. Die vergleichenden Untersuchungen ergaben, dass der Fremdioneneinbau, anders als ursprünglich angenommen, keinen nennenswerten Einfluss auf das Umwandlungsverhalten des aluminiumreichen Mullitkristalls hat. Auch im reinen System SiO2-Al2O3 (Reaktionspaar SiO2-Schmelze/2/1-Mullit) konnte die Mullitumwandlungsreaktion beobachtet werden, allerdings erst bei Temperaturen oberhalb von 1600 °C. Die weitergehende Untersuchung der Umwandlungsmechanismen zeigte, dass der neugebildete 3/2-Mullit nicht in Form einer diffusionskontrollierten Reaktionsfront (Al-Diffusion vom Mullit in die Schmelze und/oder Si-Diffusion aus der Schmelzphase in den Mullitkristall) in den Mullitkristall hineinwächst, sondern primär durch einen Auflösungs-Wiederabscheidungsprozeß entsteht: Der 2/1-Mullitkristall löst sich demnach in der hochviskosen SiO2-Phase auf und scheidet sich, nachdem die Schmelze eine kritische Al2O3-Konzentration erreicht hat, als 3/2-Mullit wieder aus (siehe Publikationen [1] and [2] im Abschnitt 4.1). Die Kinetik der Mullitumwandlung in Gegenwart einer Schmelzphase konnte aufgrund des unerwarteten Auflösungs/Ausscheidungs-Prozesses nicht mit den in Clausthal ermittelten Diffusionsdaten der Mullitkonstituenten korreliert werden. Andererseits konnte die Kinetik der temperaturabhängigen Zusammensetzungsänderung von 2/1-Mullit in Abwesenheit einer Schmelzphase als reine Festkörperreaktion auf der Grundlage der Tracerdiffusionsdaten quantitativ interpretiert werden. Eine besondere Bedeutung hatte die Charakterisierung des Übergangsbereichs zwischen neugebildetem 3/2- und ursprünglichem 2/1-Mullit. Es sollte abgeklärt werden, ob scharfe Phasengrenzen, eine mosaikartige Verzahnung beider struktureller Zustände oder kontinuierliche Übergange existieren. In der neueren Literatur wurde die Frage, ob eine lückenlose Mischbarkeit zwischen 2/1- und 3/2-Mullit besteht oder ob diskrete Mullitzusammensetzungen nebeneinander vorliegen, kontrovers diskutiert. Hierzu wurde das Ordnungsprinzip (O(C)-Lückenverteilung) des Mullits in der Nähe des Umwandlungsbereichs mittels Feinbereichsbeugung untersucht. Die kontinuierliche Zunahme der Überstruktur- Beugungsintensitäten und der Verlauf der Zusammensetzung signalisieren einen chemisch und strukturell kontinuierlichen Übergang zwischen 3/2- und 2/1-Mullit. Die in einer früheren Arbeit postulierten Entmischungen in 3/2- und 2/1-Zusamensetzungen können selbst auf nanoskaliger Ebene ausgeschlossen werden. Als besonderes Resultat hervorzuheben ist die (bis auf die Korngrenzendiffusion von Silizium) mit diesem Vorhaben abgeschlossene Bestimmung aller für Mullit relevanten Diffusionsdaten. Hier ist insbesondere die erfolgreiche Messung der Aluminiumdiffusion zu nennen. Als Tracermaterial wurde das künstliche Radioisotop 26Al eingesetzt, welches aufgrund seiner extrem niedrigen spezifischen Aktivität jedoch nur sehr schwierig mittels klassischer Radiotracermethoden im Material detektiert werden kann. Als Alternative bietet sich die Sekundärionenmassenspektrometrie (SIMS) an, die mit wesentlich geringeren Mengen an 26Al auskommt und methodeninhärent ein hervorragendes Ortsauflösungsvermögen besitzt, welches die Radiotracermethode auch mit modernen Sputtermethoden in der Praxis nicht erreicht. Eine von uns entwickelte Präparationstechnik ermöglicht es, das sehr teure Radionuklid 26Al in oxidiertem Zustand (26Al2O3) möglichst sparsam und gleichmäßig auf die Oberfläche der Proben aufzubringen. Dies war eine wesentliche Vorraussetzung zur (soweit uns bekannt ist, weltweit erstmaligen) erfolgreichen Anwendung der SIMS-Analytik im Zusammenhang mit der Messung der 26Al-Diffusion in Oxiden. Aufgrund der quantitativen Kenntnis der Diffusionsdaten aller konstituierenden Elemente von Mullit (O, Si, Al) konnte ein wesentlicher Fortschritt im Verständnis der Mullitbildung (aus den Ausgangsoxiden) in Festkörperreaktionen erzielt werden. In der Literatur wurde bisher fälschlicherweise angenommen, dass Sauerstoff im Mullit am unbeweglichsten ist und die Festkörperreaktion im wesentlichen über die Kationen gesteuert wird.1 Unsere Diffusionsmessungen zeigten nun, dass Silizium die niedrigste Beweglichkeit hat und Sauerstoff und Aluminium ähnliche Diffusionskoeffizienten aufweisen. Darauf aufbauend wurde von uns ein praxisrelevantes Mullit-Bildungsmodell vorgeschlagen und veröffentlicht. In einer weiteren Arbeit haben wir den Versuch unternommen, die physikalischen Grundlagen der klassischen "Kompensationsregel" (DSa-DHa-Korrelation, s. z. B. J. Philibert2) am Beispiel des dichtgepackten ternären (bzw. quasi-ternären) Oxids "Mullit" zu diskutieren. Diese Fragestellung war naheliegend, da nach unserem Wissen dieses Oxid das einzige höhere Oxidsystem ist, für welches neben aktuellen verlässlichen Daten zur Temperaturabhängigkeit des Kompressionsmoduls3 ein vollständiger Satz präziser Daten zur Volumendiffusion der konstituierenden Elemente existiert. Neben interessanten Einzelergebnissen (s. z. B. die Abschätzung des Aktivierungsvolumens aus der Kombination von Diffusionsdaten und der Druck- und Temperaturabhängigkeit der Kompressionsmoduls) erscheint uns insbesondere die folgende Vermutung bemerkenswert: Die Kompensationsregel ist nicht allgemein gültig. Ihre Anwendung erscheint am ehesten gerechtfertigt bei der Diffusion der konstituierenden Elemente in einer bestimmten Matrix. Sie sollte daher nicht (wie es häufig der Fall ist) auf die Diffusion eines beliebigen Elements in einer beliebigen Matrix angewendet werden. Eine Bestätigung der Vermutung erfordert jedoch neben genauen Diffusionsdaten präzise Daten der elastischen Eigenschaften als Funktion von Druck und Temperatur. Diese Informationen liegen zur Zeit noch für kein System vor. Als wichtiges vorläufiges Ergebnis für Mullit kann jedoch festgehalten werden, dass die bereits in einer früheren Arbeit vorgestellten Überlegungen zur Korrelation der Sauerstoffdiffusionsdaten von allgemeinerer Natur sind und auch auf die Diffusion des Siliziums und des Aluminiums übertragen werden können. Diese Vermutung wird auch unterstützt durch unsere Computer-Simulationen zur Defektstruktur in Mulliten und verwandten Oxidphasen, wonach sich eine lineare Korrelation der Gitterenergie mit der Zusammensetzung (d. h. mit dem Konzentrationsparameter x) in der Summenformel Al2(O)[Al2(1+x)Si2(1-x)](T)O10-x ergibt, und zwar vom reinem SiO2 (a-Quarz, x = −2) bis zu reinem Al2O3 (a-Korund, x = 1). Aufgrund der hohen technologischen Bedeutung von Mullit als Hochtemperaturkeramik ist es wichtig, diffusionskontrollierte Phänomene von Mullitkeramiken bei hohen Temperaturen theoretisch beschreiben zu können. Besonders hervorzuheben ist das theoretische Verständnis des Kriechens: Bisherige Versuche, die Kriechdaten von Mullit allein auf der Basis von Sauerstoffdiffusionsdaten zu interpretieren, führen zwangsläufig zu Fehlschlüssen. Die in diesem Projekt ermittelten Diffusionsdaten werden die Ausarbeitung praxisrelevanter Modelle für die Kriechverformung, das Kornwachstum und das Sinterverhalten von mullitbasierter Keramik ermöglichen.
Publications
- B. Roos, "Herstellung und Untersuchung dünner Al2O3-Schichten" Institut für Metallurgie, März 2004.
- Dr. M. Schmücker, "Synthetic Mullite Precursors: Preparation, Structure, and Transformation Behaviour", Habilitationsschrift, TU Clausthal 2003.
- H. Schneider, M. Schmücker "Structure controlled formation and decomposition of mullite" in: Mullite (Hrsg.: H. Schneider, S. Komarneni,), Wiley VCH 2005, 180-189.
- L. Wondraczek, G. Heide, M. Kilo, N. Nedeljkovic, G. Borchardt and R. A. Jackson, "Computer Simulation of Defect Structure in Sillimanite and Mullites", Physics and Chemistry of Minerals 29 (2002), 341-345.
- M. Schmücker and H. Schneider, "New evidence for tetrahedral triclusters in alumino silicate glasses", J. Non-cryst. Solids 311 (2002) 211-215.
- M. Schmücker, B. Hildmann and H. Schneider, "Mechanisms of 2/1- to 3/2-mullite transformation at 1650 °C", Amer. Min. 87 (2002), 1190-1193.
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- P. Fielitz, G. Borchardt, M. Schmücker and H. Schneider, "Al-26 Diffusion Measurement in 2/1-Mullite by Means of Secondary Ion Mass Spectrometry", Solid State Ionics 177 (2006), 493-496.
- P. Fielitz, G. Borchardt, M. Schmücker and H. Schneider, "Silicon Tracer Diffusion in Single Crystalline 2/1-Mullite Measured by SIMS Depth Profiling", Phys. Chem. Chem. Phys. 5 (2003) 2279-2282.
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