Project Details
The calendar and the consequences. Uwe Johnson´s novel "Jahrestage". On the problem of Collective Memory.
Applicant
Dr. Thomas Schmidt
Subject Area
German Literary and Cultural Studies (Modern German Literature)
Term
from 2000 to 2001
Project identifier
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Project number 5238612
Die Arbeit unternimmt es, Uwe Johnsons Roman "Jahrestage" - eines der wichtigsten Werke der deutschen Nachkriegsliteratur - an aktuelle gedächtnistheoretische und kulturanthropologische Debatten anzuschließen. Ausgehend vom Titel wird dazu in einer philologischen und werkgenealogischen Analyse vorgeführt, daß der Roman mit dem kalendarischen Erinnern eine kollektive Mnemotechnik auf ihre literarische und kulturelle Leistungsfähigkeit überprüft. Im Anschluß an die Theorie des kollektiven Gedächtnisses werden eigene Begriffe erarbeitet, um Kalender und Jahrestage als Instrumente des kulturellen Gedächtnisses zu erfassen und für die Textinterpretation heuristisch aufbereiten zu können. Die dadurch entstandenen Präliminarien zu einer Theorie des kalendarischen Erinnerns sind - in Anbetracht bislang fehlender systematischer Überlegungen in den Kultur- und Sozialwissenschaften zur Erinnerungsapparatur Kalender - als eigenständiger Beitrag zur interdisziplinären Diskussion über das kollektive Gedächtnis und seine Medien angelegt. Im Zentrum der Arbeit steht die Offenlegung eines vom jüdischen Festkreis getragenen Intertextes, an dem Uwe Johnson seine Erzählung orientiert und an dem er die Probleme des deutsch-jüdischen Verhältnisses nach dem Holocaust thematisiert. Dieser Intertext birgt auch das Programm des Romans - und das heißt Überlieferung. Gezeigt wird, daß die "Jahrestage" als fiktionaler literarischer Text den Anspruch auf den Transfer kulturellen und historischen Wissens nicht aufgeben und ein Überlieferungsexperiment im Medium der Literatur unternehmen, zu dem die jüdische Kultur die Stichworte liefert. Als hochaktuell und erinnerungspolitisch belangvoll erweist sich Johnsons Hauptwerk dabei nicht nur, weil es die deutsche Schuldgeschichte im 20. Jahrhundert zum Gegenstand nimmt, sondern auch, weil es das Überlieferungsexperiment auf jener Schwelle im kollektiven Gedächtnis ansiedelt, an der sich die Erinnerung von ihren personalen Trägern löst und endgültig in andere Medien (Jahrestage, Denkmäler, Museen) übergeht - oder verlischt.
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