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Digitalisierung und tiefgreifender struktureller Wandel: Ist die Plattformisierung des Gesundheitswesens unausweichlich?
Antragsteller
Professor Dr. Kai Reimers; Dr. Stefan Schellhammer
Fachliche Zuordnung
Operations Management und BWL-spezifische Wirtschaftsinformatik
Wirtschafts- und Sozialgeschichte
Wirtschafts- und Sozialgeschichte
Förderung
Förderung seit 2023
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 523945592
Die Digitalisierung wird, so die gängige Annahme, alle Bereiche der Gesellschaft tiefgreifend beeinflussen. Ein besonders interessanter Sektor in diesem Zusammenhang ist die Distribution von Arzneimitteln. Seine institutionelle Struktur hat sich über Jahrhunderte entwickelt und die Gesundheitssysteme in allen westlichen Gesellschaften geprägt, in deren Zentrum die institutionelle Trennung der Berufe von Apothekern und Ärzten steht. Die aktuelle Welle digitaler Technologien hat zur sogenannten Plattformisierung verschiedener Branchen geführt, einschließlich des Gesundheitssektors. Derzeit werden Plattformen aufgebaut, die medizinische Beratung und Arzneimittelabgabe aus einer Hand anbieten und daher die Aufhebung der "historischen Trennung" der Berufe von Apothekern und Ärzten fordern. Die europäische Geschichte ist voller Anfechtungen dieser tief verwurzelten institutionellen Struktur des Gesundheitssektors, die bisher aber immer abgewehrt wurden. Dieser Sektor ist daher für die Untersuchung der digitalen Transformation der Gesellschaft als Ganzes besonders interessant, da er einen "kritischen Fall" darstellt. Die Untersuchung der Art und Weise, wie er in der Vergangenheit und in der Gegenwart auf Herausforderungen im Zuge gesellschaftlicher Umwälzungen reagiert hat, wird daher Aufschluss über die zugrundeliegenden Mechanismen und die Dynamik des gesellschaftlichen Wandels geben, einschließlich der gegenwärtigen Phase, die durch das Aufkommen einer neuen Generation digitaler Technologien bestimmt wird. In diesem Projekt werden drei Perioden untersucht, in denen die Organisation des Arzneimittelvertriebs erhebliche Veränderungen erfahren hat. In der ersten Periode (1800-1850) erreichte die gemeinsame Praktik von Apothekern und Ärzten bei der Formulierung komplexer Arzneimittelrezepturen einen Höhepunkt, und zwar innerhalb der Grenzen der institutionellen Trennung der beiden Berufe. In der zweiten Periode (1910-1938) wurden die Krankenkassen zu einer Vorform der modernen Plattformen, indem sie Apotheker und Ärzte unter Vertrag nahmen, strenge Beschränkungen für die zu verschreibenden und abzugebenden Arzneimittel auferlegten und die Preise mit den Apothekern aushandelten. Dies führte zu einer vollständigen Trennung der beiden Berufe in dem Sinne, dass die gemeinsame Rezeptierpraktik verloren ging. In der dritten, der gegenwärtigen Periode (2010-2025), hat sich erneut die Möglichkeit ergeben, eine gemeinsame Praktik zu entwickeln, die die beiden Praktiken von Apothekern und Ärzten wieder näher zusammenbringt, diesmal mit dem Schwerpunkt auf der Medikation als solcher. Werden Apotheker und Ärzte wieder lernen, innerhalb der Grenzen der institutionellen Trennung von Apothekern und Ärzten zusammenzuarbeiten oder wird es Plattformen gelingen, diese Trennung aufzuheben, um Big-Data-Analysetechniken zur zentralen Überwachung und Optimierung von Arzneimitteltherapien einzusetzen?
DFG-Verfahren
Schwerpunktprogramme