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Person und Identität bei den Matsigenka im Spannungsfeld zwischen Eigen- und Außensicht

Subject Area Social and Cultural Anthropology and Ethnology
Term from 2001 to 2009
Project identifier Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Project number 5256900
 
Final Report Year 2008

Final Report Abstract

Etwas vor dem hier besprochenen Forschungsprojekt, teils zeitlich sich mit ihm überschneidend, lief ein anderes Projekt unter meiner Leitung, auf den ersten Blick scheinbar ganz woanders, nämlich „Kontinuität und Wandel der Geschichtsdarstellung in Wort und Bild am Beispiel der Apache in Arizona, USA" . Tatsächlich aber überkreuzten sich die Ergebnisse, flössen sie in überraschenderweise ineinander. In beiden Fällen zeigte sich eine dynamische indigene Anpassung an Erwartungen der Medien, und eine Übernahme der modernen Medien für eigene Zwecke. Im Fall der weniger hochtechnisierten peruanischen Indigenen erfolgt dies freilich im Vergleich zu den nordamerikanischen in merklich geringerem Maße: Matsigenka bedienen sich im Unterschied zu Apache noch kaum des Mediums der Web-Präsentation, ihre Ausdrucksformen beschränken sich vorerst im Wesentlichen auf Massenrundmails und Pressekonferenzen. Während Apache in Nordamerika Show-Effekte der medialen Gesellschaft nutzen, sind die Darstellungen der Matsigenka stark am Modell des acta formal hispanischer Tradition orientiert, d.h. an der schriftsprachlichen Niederlegung eher langatmiger Erklärungen, die mit ihren download-ungünstigen Übergängen insbesondere in Rundmails wenig Wirkung erzielen dürften. Diese Erklärungen richten sich freilich offenbar viel weniger als jene nordamerikanischer Indigener an ein Massenpublikum, viel mehr an Institutionen der Entwicklungskooperation und an Behörden, d.h. an Stellen, die an das Lesen langer Papiere gewöhnt sind und sich bisweilen gerade von der Länge, dem formalisierten, gleichsam bürokratischen Stil und den politisch korrekten Standpunktdarlegungen beeindrucken lassen. Dahinter steht für die ökonomisch und politisch ungleich schwächeren Amazonasindianer die Notwendigkeit, Unterstützung aus der Entwicklungskooperation zu suchen. Für letztere stellt sich dabei die Frage der Evaluation - nicht zufällig ist die wiss. Mitarbeiterin des Projekts anschließend in die Evaluationspraxis gegangen. Während die nordamerikanischen Apache zwar auch, wie alle Völker der Welt, politisch aufgesplittert sind und ihre Konflikte sich auch auf ihr Identitätsmanagement auswirken, verstehen sie es doch zumeist, diese inneren Risse nach außen hin nicht allzudeutlich sichtbar werden zu lassen. In dem Nordamerika-Projekt waren diese internen indigenen Konflikte (ein heikler Punkt, der aus Gründen der Feldforschungsdiplomatie und im Interesse nachfolgender Forscher, denen nicht noch mehr Schwierigkeiten erwachsen sollten, als Ethnologen sie ohnehin bei heutigen US-Indianern haben, sehr vorsichtig behandelt werden muss) nicht zum Kern der Darstellung gemacht worden, wenngleich sie nicht verschwiegen wurden. In Peru ist die Lage im Grunde ähnlich, die internen Konflikte der indigenen Gemeinschaften treten jedoch offener zutage. Dies mag mit der tradionellen Sozialstruktur zu tun haben, in der ständige Spaltung gleichsam das einzig Vereinende ist, aber auch mit der anderen politischen Atmosphäre in Peru, wo neben schrankenloser Idealisierung der Ureinwohner immer noch, und ganz unbekümmert, deren schrankenlose Verachtung und das Lob des vordringenden Kapitalismus steht. Matsigenka haben da durchaus die Wahl zwischen entweder politischer Korrektheit und Definition der eigenen Identität als umweltbezogen - das bedeutet Unterstützung durch die Entwicklungskooperation - oder Anschluss an weniger umweltbesorgte Institutionen, etwa an internationale Gesellschaften mit Interesse an Bodenschätzen. Der sich dabei ergebende Konflikt innerhalb der Matsigenka-Gesellschaft ist nicht eindeutig ein Gegensatz zwischen zwei Parteien, sondern ein komplexes Gemenge, in dem Familienbündnisse sich mit Affiliationen an politische Parteien überkreuzen. In gewisser Hinsicht zeigt sich dabei eine Bestätigung der Projekthypothese von den nicht einfachen, sich nicht ausschließenden, sondern vielfachen, sich vermengenden und überlagernden «Identitäten». Allerdings wird die Lage für den forschenden Beobachter dadurch schwierig, dass er einerseits in dieses Spiel mit hineingezogen wird, andererseits dabei aber auch in die entsprechenden Konflikte, und dass nicht nur Matsigenka Stellungnahmen entarten, sondern auch die untereinander im Konflikt stehenden außer-indigenen Institutionen, die als letztlich «westliche» wenig Verständnis dafür haben, dass jemand mehrere Meinungen haben oder mit verschiedenen Gruppierungen verbündet sein könnte. Wir standen unter starkem Druck zu Stellungnahmen. Diesem haben wir nachgegeben, wo es mit unseren Auffassungen in Einklang stand und uns doch noch erlaubte, diplomatisch zu bleiben. In den Aufsätzen finden sich Worte der Projektmitarbeiter, die eigentlich recht diplomatisch verklausuliert sind, aber doch eine klare Positionsnahme erkennen lassen (wenn etwa einige Matsigenka-Politiker als Opportunisten im Bündnis mit Erdölgesellschaften angesprochen werden). Hätten wir solche Stellungnahmen nicht abgebgeben, wäre uns dies ebenfalls als Parteinahme angekreidet worden. In der Praxis war dadurch unsere Arbeit außerordentlich erschwert. Letztlich haben wir also genau das erfahren, was die Ausgangsposition des Projektes war: Die Matsigenka lassen sich nicht auf eine einzige «Identität» festlegen. Sie bewegen sich in einem Netz widerstreitender Beziehungen. Dies gerät, wie uns deutlicher wurde, in Konflikt mit den «westlichen» Auffassungen von einer Identität und Meinung, die insbesondere von den bei den Matsigenka tätigen Institutionen der nationalen Politik und der Entwicklungskooperation energisch durchgesetzt werden.

Publications

  • 08.06.2001 „Konstruktion ethnischer Identität unter Mitwirkung der Ethnologie - ein Beispiel aus dem Amazonasgebiet." Symposium Ethnische Identitäten Lateinamerikas im Wandel, Berlin : Ibero-Amerikanisches Institut
    Münzel, Mark
  • 13.04.2003 „Indianer Südamerikas - Ein anderer Fortschritt." Zur Eröffnung der Ausstellung "Laufen fürs Leben - Besuch bei den brasilianischen Canela-Indianern", Oldenburg (Oldb.): Landesmuseum Natur und Mensch
    Münzel, Mark
  • 2003: Liaisons dangereuses am Rio Orubamba, Ost-Peru: Schwierigkeiten und verbotene Liebesbeziehungen in einem Dorf der Matsigenka. In: Bettina E. Schmidt (ed.): Wilde Denker: Unordnung und Erkenntnis auf dem Tellerrand der Ethnologie. Marburg: Curupira (Curupira, 14): 127-140
    Baer, Gerhard
  • 27.09.2003 „Ethnologische Ordnungssysteme: Arten, die Welt zu sehen, zu verstehen und zu systematisieren." Tagung der Studentenschaft des Christlichen Jugenddorfwerkes Deutschlands, Oppurg: Europäisches Bildungszentrum
    Münzel, Mark
  • 2004: Aproximacion a la identidad Matsiguenka a partir de las influencias externas. Primeros acercamientos. In: Boletin de Antropologia (Universidad de Antioquia, Facultad de Ciencias Sociales y Humanas, Dpto. de Antropologia), 18, 35: 337-349
    Marggraff, Katrin
  • 2004: Quia para el Sistema de Monitoreo orientado hacia Impactos (SMol) del Programa Rural Sostenible Peru/GTZ, Lima
    Marggraff, Katrin
  • 2004: ¿ Comes carne de armadillo ? Acerda del problema de la identidad de los matsiguenka del Bajo Urubamba en el Oriente peruano. In: Boletin de Antropologia (Universidad de Antioquia, Facultad de Ciencias Sociales y Humanas, Dpto. de Antropologia), 18, 35: 317-336
    Baer, Gerhard
  • 2006: Herausforderung und Entwicklungsansätze für die ländliche Regionalentwicklung in Peru. In: Axel Borsdorf/Walter Hödl (eds.): Naturraum Lateinamerika. Geographische und biologische Grundlagen. Wien et al.: LIT (!Atencion!, 10): 339-355
    Marggraff, Katrin (m. Helmut Eger und Christine Bohn)
  • 2007: Neue Impulse für die Evaluierung. In: EINS: Entwicklungspolitik, Information Nord-Süd, 9/2006: 41-43
    Marggraff, Katrin (m. Karsten Posse)
 
 

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