Project Details
Zur Genealogie des biosozialen Wissens im 19. Jahrhundert
Applicant
Privatdozent Dr. Thomas Becker
Subject Area
Theoretical Philosophy
Term
from 2000 to 2005
Project identifier
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Project number 5279892
Rassismen bestehen in allen Gesellschaften. Sie nutzen körperliche Unterschiede zur sozialen Diskriminierung des Anderen. Der Rassismus der Intelligenz hingegen behandelt die Entstehung des wissenschaftlichen Rassismus. Das Projekt untersucht die Entstehung von Wissenschaftsfeldern am Ende des 18. und im 19. Jahrhundert, die sozialphilosophische Perspektiven mit biologischer und medizinischer Forschung unter dem Namen der Science de l´homme verbanden, um Rassen zu klassifizieren. Eine Initialzündung war von den sogenannten médecins-philosophes der Montpellierschule in Frankreich ausgegangen. Die Variabilität von Leben wurde in dieser Schule von der naturgeschichtlichen Entwicklung des Nervenstystems und der Intelligenz her gefaßt. Diese neue Art der Klassifikation von Leben führte dazu, daß Medizin, Naturgeschichte, Embryonalforschung und Hygiene das gemeinsame Feld der Ethnologie und Anthropologie zuerst in Frankreich ausbilden konnten. Die Hierarchisierung von Rassen nach dem Gesichtspunkt der Intelligenz steht damit am Anfang des modernen Rassenbegriffs und leitete die Entwicklung der anthropologisch beeinflußten Wissensformen im 19. Jahrhundert an. Das Projekt endet mit dem weltweit ersten Entwurf von Intelligenztests, die Binet an der Wende zum 20. Jahrhundert konzipierte. Nach dem Muster von Foucaults Genealogie der Strafe, derzufolge die Ermäßigung der Strafen im 19. Jahrhundert zu keiner reinen Demokratisierung führte, sondern zur Entstehung einer neuen individualisierenden Machtform, muss auch die Genealogie der Begabungen und der Intelligenz geschrieben werden. Während der Begriff der Begabung zunächst der demokratischen Tendenz entspricht, ererbte, soziale Privilegien als illegitim erscheinen zu lassen, war mit der Verklammerung von Leben und Begabung in den modernen Wissensformen der Wahrnehmungsphysiologie, der Anthropologie und den mentalen Degenerationstheorien der Hygieneforschung die neue Machtform eines Rassismus der Intelligenz entstanden. Dieser biosoziale, avisuelle Rassismus hat einen modernen wissenschaftlichen Rassismus hervorgebracht, der im Laufe des 19. Jahrhunderts von der visuellen Diskriminierung abrückte, indem er das humanbiologische und anthropologische Wissen von vornherein daran orientierte, gesundes Leben als eine Art positiver Grundbegabung aufzufassen.
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