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Erinnerung im Essayfilm: Ivens, Marker, Godard, Jarman

Applicant Christina Scherer
Subject Area Theatre and Media Studies
Term from 2000 to 2001
Project identifier Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Project number 5283586
 
Die Dissertation verfolgt zwei Ziele: zum einen will sie einen systematischen Zugang zur Form des Essayfilms eröffnen, zum anderen untersucht sie die spezifisch-filmische Form der Erinnerung und des Gedächtnisses. Die Verbindung von Essayfilm und Erinnerung ist sowohl inhaltlich gegeben - Erinnerung und Gedächtnis sind im Essayfilm ein bevorzugtes Thema - als auch in einer formalen Affinität der Struktur des Essayfilms zu Formen der Erinnerung zu beobachten. Der Film erscheint in dieser Hinsicht wie der Nachvollzug einer Erinnerungsbewegung. Die in der Untersuchung vorgenommene Beschreibung des Essayfilms zielt dabei nicht auf eine starre Merkmalsklassifikation, sondern soll der formalen und inhaltlichen Offenheit des Essayfilms gerecht werden. Zur Analyse wurden Essayfilme sehr unterschiedlicher Filmregisseure herangezogen, die gleichsam als Eckpunkte eines weiten Feldes möglicher Ausprägungen der Essayfilmform gelten können: Une histoire de vent von Joris Ivens, Sans soleil von Chris Marker, JLG/JLG und Hélas pour moi von Jean-Luc Godard und The Last of England und The Garden von Derek Jarman.Leitlinien für die Beschreibung des Essayfilms sind die Begriffe und Problemfelder der Subjektivität, der Selbstreflexivität und Selbstreferentialität, der Blickkonfiguration des Zuschauers, des Spannungsfeldes von Fiktion und Dokumentation, der Intertextualität und der Intermedialität. Sie sind auch für die Modellierung von Erinnerung im Essayfilm wichtig. Erinnerung ist grundlegend an ein Ich gebunden, das sich erinnert. Der Essayfilm bildet formal die Zugehörigkeit von kollidierenden, bruchstückhaften und widersprüchlichen Erinnerungen zum Bewußtsein eines Sich-Erinnerns nach. In diesem filmischen erinnernden Bewußtsein kreuzen sich Bruchstücke individueller Erinnerung mit den Bruchstücken eines kollektiven Gedächtnisses und der Geschichte. Die filmische Struktur, die sich daraus ergibt, läßt sich in Analogie zu Erinnerungsstrukturen beschreiben. Zu dieser Beschreibung sind Modelle der Erinnerung und des Gedächtnisses von Freud und Benjamin herangezogen worden und die mit ihnen assoziierten Begriffe der Umschrift, des Palimpsestes, der Konstellation und der Kollision. Mit ihnen lassen sich vor allem filmische Montageverfahren charakterisieren. Erinnerung und Film sind Formen der Montage von Bruchstücken des Vergangenen und Gegenwärtigen.In selbstreflexiven und selbstreferentiellen Verfahren thematisieren die Filme die Unverfügbarkeit der Erinnerung. Der Essayfilm bleibt jedoch nicht bei dem Zweifel an seinen eigenen Repräsentationen der Vergangenheit stehen. Er hat ein starkes Darstellungs- und Erkenntnisinteresse. Das wesentliche Moment darin bleibt das Bewußtsein von der Prozeßhaftigkeit von Erkenntnis, die als Möglichkeit nicht aufgegeben wird. Fragmente, Kollisionen und Negativität verweisen auf das, was in ihnen als Denk- und Erfahrbares verborgen liegt. Der Zweifel hält den Horizont des Möglichen offen. Nicht zuletzt in dieser Hinsicht zielt der Essayfilm darauf, dem Sehen das Erkennen wiederzugeben, als ein denkendes Sehen oder sehendes Denken.
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