Project Details
Projekt Print View

Psychiatrische Traumakonzepte in Deutschland seit 1889

Subject Area Clinical Psychiatry, Psychotherapy, Child and Adolescent Psychiatry
Term from 2002 to 2006
Project identifier Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Project number 5342144
 
Final Report Year 2006

Final Report Abstract

Dieses Forschungsprojekt fragte nach den Begriffen und Krankheitskonzepten, mit denen deutsche Psychiater seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert über das Thema psychische Traumatisierung nachgedacht haben. Das Forschungsvorhaben untersuchte die Entwicklungen und Nachwirkungen dieser akademischen Debatte bis in die Gegenwart und versuchte, deren Auswirkungen auf die Behandlungs- und Begutachtungspraxis zu expforieren. Insbesondere war es ein Anliegen unserer Untersuchung, scheinbar abgebrochene Diskussionsstränge wieder in den Blick zu nehmen und in die gegenwärtige Debatte zu integrieren. Dieses Forschungsprojekt möchte damit einen wesentlichen Beitrag zur aktuellen Debatte um die neu etablierte Diagnose Posttraumatische Belastungsstörung leisten und eine kritische Weiterentwicklung des Konzeptes befördern. Ein wesentliches Ergebnis unserer Untersuchung war, dass die Frage nach so genannten "neurotischen" Traumafolgen, welche scheinbar eine kontinuierliche Entwicklung von Oppenheims traumatischer Neurose über die Kriegsneurotikerfrage zum heute breit etablierten PTSD-Konzept suggeriert, keineswegs ein dominierendes Thema in der psychiatrischen Fachdiskussion darstellte. Unsere Untersuchung belegt im Gegenteil, dass der Diskussion um die traumatische Neurose eher eine marginale Bedeutung zukam, was sich rein quantitativ in einer nur geringen Anzahl der Diskussionsbeiträge und Veröffentlichungen niederschlug. Weitaus vielfältiger, kontroverser und mit grundsätzlicheren theoretischen Implikationen wurde die Frage nach einer Auslösung von Psychosen durch psychische Traumen diskutiert. Eine zweite wichtige Beobachtung unserer Untersuchung war, dass in der deutschen Psychiatrie eine organische Konzeption von psychischer Traumatisierung bis in die Gegenwart dominant ist, was jedoch keinesfalls mit einer Negierung des psychischen Traumas per se gleichzusetzen ist. Bonhoeffer und seine Beschreibung der exogenen Reaktionstypen kam dabei eine wichtige Rolle zu. Warum Selyes Stress-Mod eil nicht und das PTSD im internationalen Vergleich sehr spät rezipiert wurde, bleibt vor diesem Hintergrund letztlich erklärungsbedürftig. Die meisten Veröffentlichungen zu psychischer Traumatisierung beschäftigten sich mit Unfall-, Haftund Kriegsfolgen. Ein aus heutiger Sicht wichtiges Thema, die Frage nach den Folgen von sexueller Gewalt, wurde in der deutschen Psychiatrie hingegen kaum diskutiert. Nur sehr wenige Beträge in psychiatrischen Fachpublikationen beschäftigen sich überhaupt mit Frauen als einer von Traumen betroffenen Patientengruppe. In einer explorativen Untersuchung zur Behandlungspraxis in der unmittelbaren Nachkriegszeit konnten wir hingegen nachweisen, dass Vergewaltigungen von den Betroffenen und von psychiatrischen Experten durchaus als ein relevantes psychisches Trauma wahrgenommen wurden. Aus den Ergebnissen unseres Forschungsvorhabens lassen sich aus unserer Sicht drei wesentliche Forschungsdesiderate für die aktuelle Diskussion ableiten: 1) Eine genauere Definition des psychischen Traumas erscheint dringend erforderlich. Nicht nur aus historischer Perspektive sondern auch für die aktuelle klinische Forschung scheint es bislang unklar, wodurch ein Ereignis zum Trauma wird. Der scheinbar griffige Begriff Trauma vernebelt oft, dass es sich in der Praxis oft um völlig unterschiedliche, nicht wirklich vergleichbare Ereignisse und Einwirkungen handelt. 2) Eine Re-lntegration der Frage nach einem Zusammenhang von Trauma und Psychose oder von Trauma und psychotischen Symptomen in die aktuelle Debatte scheint aus unserer Sicht hilfreich zu sein, um eine Zusammenführung von derzeit divergierenden Entwicklungen innerhalb der psychiatrischen Fachdiskussion zu ermöglichen und Grenzen des aktuellen Traumakonzeptes aufzuzeigen. 3) Ein internationaler Vergleich von Psychiatrie-Lehrbüchern eröffnete für unsere Untersuchung etliche wichtige und weiterführende Perspektiven. Eine international vergleichende historische Untersuchung zu psychiatrischen Traumakonzepten steht derzeit noch aus und scheint aus unserer Sicht der fruchtbarste Weg zu sein, um die Entwicklung des aktuell dominierenden Traumakonzeptes mit seinen Implikationen und Limitationen zu verstehen.

Publications

  • Established opinions on trauma-associated disordersin German-language psychiatry textbooks from 1945 to 2002: an historical analysis. Oralpresentation: VIII European Conference on Traumatic Stress, Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatoiogie, Berlin, 23.05.2003
    Kloocke R, Schmiedebach HP, Priebe S.
  • Psychisches Trauma in deutschsprachigen Lehrbüchern der Nachkriegszeit - die psychiatrische "Lehrmeinung" zwischen 1945 und 2002. Psychiatrische Praxis, 32, 327-333.
    Kloocke R, Schmiedebach HP, Priebe S (2005)
  • Psychological injury in the two World Wars - Changing concepts and terms in German psychiatry. History of Psychiatry, 16,43-60.
    Kloocke R, Priebe S, Schmiedebach HP (2005)
  • The view of psychological trauma in English, German and Serbian psychiatry since 1945 - a comparison of textbooks. Ora! presentation, Comparison, Transfer and Histoire croisee, Southampton, 04.09.2005
    Wildgrube C, Dimic S, Kloocke R, Schmiededach HP, Priebe S.
  • Psychisches Trauma - ewige Kontroverse? Expertengespräch und öffentliche Konferenz. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, CCM, Berlin, 13.- 14.01.2006
    Kloocke R, Bauer M, Priebe S.
 
 

Additional Information

Textvergrößerung und Kontrastanpassung