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Die Erfindung der Tradition: Karolingische Wissenskultur und die Konstruktion von Textautorität, ca. 900 - ca. 1100

Antragsteller Dr. Graeme Ward
Fachliche Zuordnung Mittelalterliche Geschichte
Förderung Förderung seit 2024
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 537219423
 
Dieses Projekt untersucht die Überlieferung und Rezeption der karolingischen Wissenskultur zwischen ca. 900 und ca. 1100, einer Zeit, die in der westeuropäischen Geschichte oft als transformativ angesehen wird. Diese Jahrhunderte wurden bislang oft im Zusammenhang mit einer Reihe von sich großen Erzählungen betrachtet. Dazu gehören v.a. die Feudalrevolution, die gregorianische Reform und die Renaissance des zwölften Jahrhunderts. In meinem Projekt wird ein neuer Ansatz für diese Jahrhunderte verfolgt, indem eine Vielzahl von Quellen analysiert wird, die bisher nur selten zusammen und insbesondere im Zusammenhang mit der Überlieferung und Rezeption der karolingischen Wissenskultur untersucht wurden. Diese Quellen umfassen Wissensformen wie liturgische Kommentare, Exegesen klösterlicher Regeln, Abhandlungen über die Eucharistie, Bischofskapitularien und päpstliche Dekrete, die im neunten Jahrhundert entstanden. In der Folgezeit wurden sie häufig kopiert, angepasst und genutzt, um den orthodoxen Glauben und die orthodoxe Praxis zu diskutieren und zu definieren. Zusammen mit der Heiligen Schrift und den Schriften der Kirchenväter wurden diese Texte zu einem festen Bestandteil des Wissenskanons der Religionsgemeinschaften in den Regionen, die einst das Karolingerreich umfassten. Sie drangen teilweise sogar in Gebiete jenseits der Reichsgrenzen vor. Die weite Verbreitung des Quellenmaterials ermutigt zu vergleichenden Studien, die wiederum überregionale Wissensnetzwerke und Kontinuitäten in der intellektuellen Praxis ans Licht bringen werden. Es stellt sich allerdings die Frage, auf welcher Basis sich die Autorität karolingischer Texte in post-karolingischer Zeit entwickelte: Wie, warum und von wem wurde dies entschieden? Wenn spätere Leser die Werke der karolingischen Gelehrten untersuchten, welches Wissen besaßen sie dann über die Autoren und den ursprünglichen Kontext dieser Quellen? Das Projekt untersucht nicht nur die Verbreitung der karolingischen Gelehrsamkeit, sondern versucht auch, die Perspektive derjenigen wiederzugewinnen, die das Material des neunten Jahrhunderts lasen und damit arbeiteten. Um dies zu erreichen, wird sich das Projekt auf eine Reihe handschriftlicher Fallstudien stützen, die lokale, oft auffallend einzigartige Beispiele der Rezeption ans Licht bringen. Diese Fallstudien sollen zeigen, dass die karolingischen Autoren in den Augen der späteren Leser einen quasi-patristischen Status einnehmen, aber auch als spätantike Autoritäten umgedeutet oder sogar ganz vergessen werden konnten. Indem es die unterschiedlichen Wahrnehmungsweisen karolingischer Texte aufzeigt, wird dieses Projekt ein allgemeineres Modell der Autorität von Texten entwickeln, das sowohl ihre Allgegenwärtigkeit als auch ihre Wandelbarkeit erklärt. Letztendlich soll das Projekt ein Narrativ der Auswirkungen der karolingischen Wissenskultur präsentieren, das "karolingisch" als moderne Analysekategorie und Periodisierungskriterium problematisiert.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
Internationaler Bezug Niederlande
 
 

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