Die Inszenierung von Geschichte und lokaler Identität. Zur ethnologischen Deutung des Initiationsrituals ganza ("nkumbi") im Ituri-Gebiet, D. R. Kongo/Zaire
Final Report Abstract
Das Forschungsprojekt mit dem Titel „Die Inszenierung von Geschichte und lokaler Identität" setzt sich mit der ethnologischen Deutung des Initiationsrituals ganza bzw. nkumbi im Ituri-Gebiet im Nordosten der Dem. Rep. Kongo (Ex-Zaire) auseinander. Ethnologisch handelt es sich um ein klassisches Übergangsritual (rites de passage) im Sinne Arnold van Genneps. Im Zentrum steht die Beschneidung von Knaben. Sie ist in ein umfassendes rituelles Geschehen eingebettet, das die von van Gennep entdeckte Dreiphasenstruktur von Trennung, Umwandlung und Wiederangliederung, die die Initianden durchlaufen, geradezu idealtypisch abbildet. Initiationsrituale dieser Art sind für zahlreiche Gesellschaften Afrikas belegt. Dort, wo sie noch praktiziert werden, bilden sie bedeutende Ausdrucksformen ethnisch-kultureller Identität. Sie sind jedoch keinesfalls als unverfälschte Traditionen anzusehen. Auch diese scheinbar unveränderten Rituale haben historische Transformationen durchlaufen. Am greifbarsten sind die kolonialzeitlichen Veränderungen, die auf Druck christlicher Missionen zustande kamen und etwa das Alter der Initianden auf das Vorschulalter senkten. Deutlich ist auch der Einfluss nachkolonialer Modernisierung. Gerade Initiationsrituale mit riskanten operativen Eingriffen wie der Beschneidung von Genitalien und anderen schmerzhaften Körperveränderungen, werden vor dem Hintergrund zunehmender Bildung und medizinischer Versorgung kritisch hinterfragt. Doch sind Initiationsrituale wie ganza/nkumbi keinesfalls auf den Akt der Beschneidung zu reduzieren. Sie bilden „totale gesellschaftliche Phänomene", die sich durch vielschichtige Sinnbezüge legitimieren. Sie geben Auskunft über eine Ritualpraxis, die auf verantwortungsvollem Handeln beruht. Sie bewahren die Tradition ebenso wie sie sie verändern. Das Leitmotiv „Inszenierung von Geschichte und lokaler Identität" benennt eine Forschungsperspektive, die die Frage nach der Identität und Geschichtlichkeit des Rituals ganza mit jener nach den narrativen Implikationen seiner bisherigen ethnographischen Repräsentation als nkumbi verknüpft. Bei beiden handelt es handelt es sich zwar um Initiationsrituale, die in der Region Ituri auftreten, doch sind sie nicht identisch. Hinter der in der Literatur geläufigen Swahili-Bezeichnung nkumbi verbirgt sich eine ethnographische Erzähl Strategie, die die Existenz des ganza als eigenkulturelles Phänomen leugnet. Die Auseinandersetzung mit ihrer ethnographischen Repräsentation soll auch zur Rehabilitierung beider Rituale beitragen. Diese erfolgt auf drei Darstellungsebenen. Zunächst wird der Gesamtverlauf eines einzigen Rituals in Gestalt einer Chronik wiedergegeben. Den zeitgeschichtlichen Kontext bildet die ausgehende Ära des Mobutu-Regimes im ehemaligen Zaire. Hierbei kommt dem Spannungsverhältnis zwischen der offiziellen Kulturpolitik der authenticity und der Wahrung lokaler Traditionen besondere Aufmerksamkeit zu. Sodann werden im Rahmen einer eingehenden Ritualanalyse die einzelnen Aspekte von rites de passage untersucht: die Sequenzierung der Riten, das symbolische Inventar sowie die „ritual agency", die vermittelnd in die antagonistische Dynamik von „social drama" und „deep play" eingreift. Im Rahmen eines historischen Rekonstruktionsversuchs wird der Transformationsprozess des ganza von einer vorkolonialen politischen Sammelbewegung hin zu einem auf ÖffentlichkeitsWirkung ausgerichteten „Kulturfestival" nachgezeichnet. Dieser auf eine spezifische Dynamik von Initiationsritualen abzielende Entwurf wird mit den vorherrschenden Diskursen konfrontiert, die die Rituale ganza und nkumbi als „out of time" und „out of place" repräsentieren.