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Sexuelle Kontrolle. Subjektivierung der Selbstbestimmung und die Pädophilie
Antragsteller
Dr. Folke Brodersen
Fachliche Zuordnung
Empirische Sozialforschung
Förderung
Förderung seit 2024
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 540847687
Pädophile werden zur sexuellen Selbstbestimmung bestärkt–diese Beobachtung steht im Zentrum der vorliegenden Arbeit. Seit Mitte der 2000er Jahre entsteht stichwortgebend durch bundesdeutsche Akteure ein international vielfach adaptierter Ansatz, der potentielle Verursacher sexueller Gewalt gegen Kinder adressiert und mittlerweile monatlich von mehreren tausend Menschen wahrgenommen wird. Freiwillig teilnehmende Pädophile, die bisher nicht übergriffig geworden sind, werden darin therapeutisch zur Selbstregulierung angeleitet. Diese Befähigung bezeichne ich als sexuelle Kontrolle. Ich rekonstruiere das zugrundeliegende Bündel von Subjektivierungsweisen, die gegenwärtig u. a. auch Jugendhilfe, Sexualtherapie und Ansätze transformativer Gerechtigkeit durchziehen. Die Arbeit betrachtet die acht derzeit bestehenden therapeutischen Konzepte anhand von Behandlungsmanualen und Selbsthilfeangeboten und setzt sie ins Verhältnis zu themenzentrierten Interviews mit 21 Teilnehmenden entsprechender Angebote. Sie beziehen sich in fünf Dimensionen von Subjektpositionen sowie fünf Typen von Selbst-Positionierungen auf den sexuell kontrollierten Pädophilen als handlungsfähiges Subjekt. Ich zeige, wie diese Position subjektivierend wirkt und sexuelle Kontrolle entlang von seinem Sein, Fühlen, Handeln, Denken und Planen konkretisiert. Anhand von 51 Mediendarstellungen analysiere ich mithin die gesellschaftliche Einbettung dieses Subjekts. Im Sinne einer Immunisierung wird er inkludiert und erneuert dadurch gleichzeitig gesellschaftliche Grenzziehungen. Diese Transformation veranschaulicht die soziale Struktur sexueller Selbstbestimmung: Sie basiert auf einem Subjekt, dass sich regulierend selbst bearbeitet und sexuelle Gewalt verhindert. Erstmalig bietet die vorliegende Dissertationsschrift eine sozialwissenschaftliche Einordnung der zunehmend verbreiteten Praxisansätze, die sexuelle Gewalt täterseitig adressieren. In Debatten um Selbstbestimmungsrechte, Ja heißt Ja und Machtmissbrauch in Bildungskontexten wird nicht nur die Position von potentiellen Betroffenen hergestellt. Ich zeige die damit direkt verbundene aber bisher nicht thematisierte Subjektivierung der Selbstbestimmung in der Form des Noch-Nicht-Täters. Diese Selbsterkenntnis als bearbeitbare Gefahr durchzieht die Gegenwartsgesellschaft. Sie positioniert Individuen in einer Prekarität und aktiviert sie zugleich, sich selbst hinsichtlich impulsiver Gefühle, Handlungsmodelle, Nähebeziehungen und Zukunftspläne umzugestalten. Die Publikation rekonstruiert dieses Subjektivierungsgeschehen in einer dreifachen Empirie und bietet eine gesellschaftstheoretische Reflexion an: Sie betrachtet die Grenzbearbeitung des Sexuellen und entlang welcher Kriterien diese aktuell verschoben wird – und richtet sich damit an die wissenschaftlichen Communitys der Gender und Queer Studies, der Soziologie und Kriminologie sowie an therapeutische und pädagogische Fachpraktiker*innen, die mit Zielgruppen sexueller Kontrolle arbeiten.
DFG-Verfahren
Publikationsbeihilfen