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Das Apollon-Delphinios-Heiligtum von Milet: Geschichte und Funktionen eines zentralen Polisheiligtums

Fachliche Zuordnung Klassische, Provinzialrömische, Christliche und Islamische Archäologie
Förderung Förderung von 2004 bis 2009
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 5418303
 
Erstellungsjahr 2011

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Mithilfe eines interdisziplinären Ansatzes, der archäologische, baugeschichtliche, geoarchäologische, religionshistorische, epigraphische und historische Analysen verbindet, gelingt es zum ersten Mal, ein klares und weitgehend vollständiges Bild des Apollon-Delphinios-Kultes in der ionischen Metropole Milet zu zeichnen. Der Gott galt als mythischer Gründer des Polisstaates und als sein Schützer in Gegenwart und Zukunft. Er wurde im Herzen der Stadt, im Delphinion an der Agora, verehrt. Hier war der Ort der Bürgerinitiation, hier lag das Prytaneion, der 'Urhaushalt' mit dem Heiligen Herd und der Regierungssitz Milets in einem. Das Delphinion entstand in der uns bekannten Form eines rechteckigen Hofheiligtums mit flankierenden Hallen und einem zentralen Altar – Tempel und Kultbild traten erst sekundär im Hellenismus dazu – in der Spätarchaik. Es bildete ein wesentliches Element der Neuanlage der Stadt im sog. Insula- Straßen-Raster, an dessen Planung die milesischen Philosophen Thales und Anaximander beteiligt gewesen sein dürften. Die Monumentalisierung des Delphinions war Teil eines großen Bauprogramms, das nicht nur die Stadtanlage, sondern auch alle öffentlichen Bauten Milets, vor allem die Heiligtümer, umfaßte und stellvertretend für die einzigartige Blüte der in archaischer Zeit wichtigsten ostgriechischen Stadt stand. Die Perserkriege beendeten diese Entwicklung abrupt. Der Versuch in der frühklassischen Zeit, den alten Zustand wiederherzustellen, etwa durch einen nahezu originalgetreuen Wiederaufbau des archaischen Delphinions unter Verwendung seiner Spolien, oder durch die Umsetzung des Insula-Straßen-Rasters auf der gesamten Stadtfläche (dies eine Leistung des Hippodamos?), scheiterte an den gewandelten geopolitischen Verhältnissen: Milet erreichte nie wieder die Bedeutung, die es in archaischer Zeit besessen hatte. Indessen funktionierte das pagane Staatswesen über die Einrichtung des Apollon-Delphinios-Kult bis in das späte vierte Jahrhundert v. Chr., als sich das Christentum durchsetzte, fort. Dabei ist die Kombination des Delphinios-Kultes mit einem weiteren Apollonkult wesenhaft: demjenigen des Orakelgottes Apollon Didymeus. Die räumliche und ideelle Verbindung erfolgte im Ritual des milesischen Neujahrsfestes. Opfer im Delphinion und in Didyma bildeten Anfang und Ende, sie wurden durch eine große Staatsprozession fest miteinander verknüpft. Didyma war so Teil des milesischen Staates, der Apollon Didymeus wurde zum 'Milesios'. Auch funktional bildeten Delphinios und Didymeus ein komplementäres Kultpaar, das als spezifisch milesisch zu gelten hat: Dieses Paar sanktionierte in archaischer Zeit die milesische Kolonisation in der Propontis und im Schwarzen Meer, die so überaus erfolgreich war und in Konkurrenz zur Kolonisationstätigkeit des eng verwandten panhellenischen Apollon-Pythios-Orakels in Delphi trat. Als besonders überraschend erwiesen sich die Ergebnisse der geoarchäologischen Untersuchungen, die nachweisen konnten, dass das Delphinion an der bekannten Stelle erst im 6. Jh. v. Chr. errichtet wurde, nachdem das sumpfige Areal im Zuge der Umstrukturierung der Stadtanlage aufwendig trockengelegt worden war. Das damit zusammenhängende 'Insula-Straßenraster' Milets ist archaisch, nicht klassisch-'hippodamisch'! Die in der Folge auf das gesamte Stadtgebiet ausgeweiteten mehrjährigen Bohrungen, deren letzte für 2011 geplant ist, bilden die notwendige Datenerhebung für die Rekonstruktion eines dreidimensionalen paläogeographisches Modells des Stadtgebietes und versprechen neue Einblicke in die Entwicklung der Siedlungsgeschichte. Völlig unerwartet war beispielsweise die Auffindung eines spätchalkolithischen Siedlungsareals unter dem Delphinion, das zu Beginn des 3. Jahrtausends dem ansteigenden Meeresspiegels zum Opfer fiel und heute fast 3 m unter dem Meeresspiegel liegt. Bohrungen im weiteren Umfeld der Agora zeigen, dass die Siedlungsfläche im späten 4. Jahrtausend viel größer war, als bisher angenommen, dass das früheste Milet (Milet I) mithin eine bedeutender Ort an der Westküste Kleinasiens war. Weiterhin zeichnet sich jetzt ab, dass der sog. Theaterhafen, nicht der Löwenhafen, bis in die frühklassische Zeit der größte und wichtigste Hafen Milets war. Seine Lage erklärt auch die Position des bronzezeitlichen Siedlungskerns um den späteren Athenat-Tempel herum. Die epigraphischen Studien führten unter anderem zur Entdeckung eines neuen Fragmentes der monumentalen Kalenderinschrift IvMilet Nr. 31. Die Beschäftigung mit der Rekonstruktion der Anbringung an den spätarchaischen Heiligtumshallen hat 2010 außerdem zur Zuweisung weiterer drei Fragmente zu dieser Inschrift geführt, die z.T. seit hundert Jahren bekannt sind (IvMilet Nr. 1215a-c). Die Inschrift ist mit einer geschätzten Gesamtfläche von 36 bis 48 m2 die größte bisher bekannte griechische archaische Inschrift überhaupt. Über unsere geoarchäologischen Forschungen im Stadtzentrum von Milet, insbesondere die Forschungen zum Ort des Thales-Grabes auf der Agora, wurde im Leitartikel von Matthias Schulz im Spiegel 48/2006 berichtet ("Morgenröte der Vernunft"), der die Entstehung der griechischen Philosophie in Ionien zum Thema hatte: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d- 49691813.html. Unsere aktuellen Ergebnisse zur Paläogeographie des gesamten Stadtgebietes von Milet, die durch eine diachrone Karte der Verlandungsstadien und einen Kurzfilm illustriert wurden, waren in der erfolgreichen temporären Ausstellung "Zeiträume. Milet in Kaiserzeit und Spätantike" im Pergamonmuseum in Berlin vom 6. Mai 2009 bis 10. Januar 2010 zu sehen. Die Ergebnisse des Delphinion-Projektes sind auch in die im Mai neu eröffnete zweisprachige (Türkisch/Englisch) Dauerausstellung im Museum von Milet in Balat/Türkei eingeflossen, für die wir mehrere Informationstafeln zusammengestellt haben.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Apollon Delphinios, das Prytaneion und die Agora von Milet. Neue Forschungen, Archäologischer Anzeiger 2005, 243–294
    A. Herda
  • Der Apollon-Delphinios-Kult in Milet und die Neujahrsprozession nach Didyma. Ein neuer Kommentar der sog. Molpoi-Satzung. Milesische Forschungen 4 (Mainz 2006)
    A. Herda
  • From Archipelago to Floodplain – Geographical and Ecological Changes in Miletus and its Environs [Western Anatolia] During the Last Six Millennia. Zeitschrift für Geomorphologie N. F., Suppl.- Vol. 142, Berlin – Stuttgart 2006, 63–83
    H. Brückner – R. Gehrels – A. Herda – M. Knipping – M. Müllenhoff – A. Vött
  • Apollon Delphinios – Apollon Didymeus: Zwei Gesichter eines milesischen Gottes und ihr Bezug zur Kolonisation Milets in archaischer Zeit. In: R. Bol – U. Höckmann – P. Schollmeyer (eds.), Cultural contacts. Apollo in Myus, Miletus/Didyma, Naucratis and on Cyprus, Proceedings of the Round Table in Mainz, 11th-12th of March 2004, Rhaden, 2008, 13– 86
    A. Herda
  • Auf Meersand gebaut – Landschaftswandel in Milet im Spiegel geoarchäologischer Zeugnisse. In: O. Dally – M. Maischberger – P. Schneider – A. Scholl (Hrsg.), ‘ZeitRäume’ – Milet in Kaiserzeit und Spätantike, Exhibition catalogue Pergamon Museum Berlin, Regensburg 2009, 18–23
    M. Müllenhoff – A. Herda – H. Brückner
  • Geoarchaeology in the City of Thales – Deciphering Palaeogeographic Changes in the Agora Area of Miletus. In: Th. Mattern – A. Vött (Hrsg.), Mensch und Umwelt im Spiegel der Zeit. Aspekte geoarchäologischer Forschungen im östlichen Mittelmeergebiet, Philippika. Marburger Altertumswissenschaftliche Abhandlungen 1, Wiesbaden 2009, 95–108
    M. Müllenhoff – A. Herda – H. Brückner
  • How to Run a State Cult: The Organisation of the Cult of Apollo Delphinios in Miletus. In: M. Haysom and J. Wallensten (Hrsg.), Proceeding of the International Conference ‘Current Approaches to Ancient Greek Religion’, British School/Swedish Institute at Athens, April 2008 (Athen 2011) 57–93
    A. Herda
 
 

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