Wachstumskinetik von dekagonalen Quasikristallen: Experimente zum anisotropen Wachstum aus nichtstöchiometrischen Schmelzen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Dekagonale Quasikristalle verbinden eine periodische Stapelfolge in einer Richtung mit einem nichtperiodischen Ordnungsprinzip in den beiden anderen Dimensionen des Raumes. Stabile Quasikristalle ternärer AlCoNi-Legierungen können mit konventionellen Züchtungsverfahren aus AI-reichen Schmelzen bei Temperaturen von etwa 1000°C als mehrere cm3 große Einkristalle gezüchtet werden. Beim Wachstum sind zahlreiche Besonderheiten, wie z. B. eine ausgeprägte Wachstumsanisotropie zu beobachten. Die Mechanismen des Wachstums sind bisher weitgehend ungeklärt. Übliche Modelle, mit denen das Kristallwachstum periodischer Festkörper erklärt wird, versagen, weil die quasikristalline Ordnung nicht als eine 3-dimensionale Aneinanderreihung identischer Baueinheiten beschrieben werden kann. Ausgehend von den inzwischen beherrschten Bedingungen für die Züchtung von dekagonalen AlCoNi-Quasikristallen nach dem Czochralski-Verfahren wurden im Projekt gezielte Experimente zur Kinetik des Wachstums durchgeführt. Um den morphologischen Zustand der Phasengrenzfläche ex situ untersuchen zu können, wurde in allen interessierenden Orientierungen jeweils während der Kristallzüchtung das Wachstum jäh unterbrochen, der Kristall von der Schmelze abrupt getrennt und durch eine sehr schnelle Kristall rotation die Restschmelze weitgehend abgeschleudert. Die Untersuchung der dekantierten Grenzflächen erfolgte mit optischer und Rasterelektronenmikroskopie. In den fünf untersuchten Orientierungen für die Wachstumsrichtung (periodische Richtung, zwei nicht äquivalente aperiodische Richtungen und zwei Richtungen, die aperiodische und periodische Komponenten enthalten) wurde gefunden, dass einzig die Flächen des dekagonalen Prismas {10000} als ebene Wachstumsflächen im Gleichgewicht mit der Schmelze auftreten. In allen anderen Orientierungen des Kristalls ist die Phasengrenzfläche entweder als Faltung von einzelnen Segmenten der {10000}-Flächen aufgebaut oder hat Anteile der zu {10000} gehörenden Flächen mit Segmenten kombiniert, die dem Verlauf der Isothermen folgen und keine ebenmäßige Kristallflächen darstellen. Das unterschiedliche Wachstumsverhalten in periodischer Richtung (atomar raue Phasengrenze) und in den quasiperiodischen Richtungen (atomar glatte Grenzflächen) wird durch diesen Befund verständlich. Die unterschiedliche Beschaffenheit der Phasengrenzflächen führt zu verschiedenen Wachstumsmoden in den untersuchten Kristallorientierungen. So konnte bei Messung der richtungsabhängigen maximalen Kristallisationsgeschwindigkeiten gefunden werden, dass das Wachstum in den aperiodischen Richtungen maximale Ziehgeschwindigkeiten um (0.3 - 0.4) mm/h erlaubt. Der begrenzende Faktor ist die Wachstumskinetik auf der Fläche des dekagonalen Prismas. Im Gegensatz dazu wird in Richtungen, die Komponenten der periodischen Achse enthalten, das Wachstum nicht kinetisch begrenzt sondern durch den bekannten Effekt der konstitutionellen Unterkühlung überdeckt, der keine Besonderheit der Quasikristalle ist. Zur vollständigen Klärung der Frage, welche Flächen eines dekagonalen AlCoNi- Quasikristalls im gleichgewichtsnahen Kontakt mit der Schmelze auftreten können, wurde ein Kugelwachstumsexperiment durchgeführt, bei dem allen Kristallorientierungen die gleiche Chance zum Wachstum geboten wird. Dazu wurde erstmals eine Versuchsanordnung erprobt, in der die sphärisch geschliffene Probe durch sukzessive Überhitzung und partielle Zersetzung ihre eigene Gleichgewichtsschmelze generiert, aus der schrittweise ein erneutes Wachstum erfolgen kann. Dieses Experiment hat den Beweis geliefert, dass auch eine zweite, symmetrisch nicht gleichwertige Prismenfläche in der Anfangsphase als Wachstumsfläche auftritt, später jedoch von den noch langsamer wachsenden Flächen der {10000}-Form verdrängt wird. Früher im Gleichgewicht mit der Gasphase beobachtete Flächen, die zur periodischen Achse geneigt sind, konnten im Gleichgewicht mit der Schmelze nicht nachgewiesen werden. Die praktizierte Variante des Kugelwachstumsexperiments ist eine neue methodische Erweiterung und kann künftig auch für Wachstumsuntersuchungen an anderen Kristallen aus nichtstöchiometrischen Schmelzen angewandt werden.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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B. Bauer, G. Meisterernst, J. Hartwig, T. Schenk, P. Gille Czochralski growth and X-ray topographic characterization of decagonal AlCoNi quasicrystals Philos. Mag. 86 (2006), 317-322.
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G. Meisterernst, L. Zhang, P. Dreier, P. Gille Understanding Czochralski growth of decagonal AlCoCu Philos. Mag. 86 (2006), 323-328.
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G. Meisterernst, P. Gille Sphere growth study on decagonal AlCoNi quasicrystals Joint Meeting of Polish and German Associations for Crystal Growth, 2006, Berlin, Vortrag
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P. Gille, G. Meisterernst, N. Faber Inclined net plane faceting observed at Czochralski growth of decagonal AlCoNi quasicrystals 14th International Conference on Crystal Growth ICCG14, Grenoble 2004.
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P. Gille, G. Meisterernst, N. Faber Inclined net plane faceting observed at Czochralski growth of decagonal AlCoNi quasicrystals J. Crystal Growth 275 (2005), 224-231.