Aushandlung von Nähe und Reziprozität in verschiedenen familialen Lebensformen
Final Report Abstract
Menschen unterhalten diverse soziale Beziehungen und gestalten diese auf unterschiedliche Art und Weise. In diesem Projekt wurde untersucht, wie Menschen zwischen den sozialen Beziehungen in ihrem Netzwerk differenzieren und wie sie diese gestalten, d.h. initiieren, aufrechterhalten oder auch wieder auflösen. Basierend auf der Annahme, dass die Regulation emotionaler Nähe und die Aushandlung von Reziprozität die zentralen psychologischen Mechanismen der sozialen Beziehungsgestaltung darstellen, wurden an Stichproben im mittleren und höheren Erwachsenenalter (insgesamt 668 Teilnehmerinnen und Teilnehmer) soziale Netzwerke, Persönlichkeitseigenschaften sowie soziale Kontextbedingungen erhoben. Als relevante Kontextbedingungen der Beziehungsgestaltung wurden unterschiedliche Familienformen definiert (z.B. Patchwork- und traditionelle Familien, motiviert und ungewollt kinderlose Paare). Die Wahl des Studiendesigns folgte damit der evolutionspsychologisch informierten Annahme, dass soziale Beziehungsgestaltung besonders im Kontext differenzieller Reproduktionsbedingungen und -entscheidungen salient werden. Die zentralen Ergebnisse des Projekts belegen erstens, dass Menschen auf robuste Weise zwischen ihren Beziehungspartnern differenzieren: Verwandtschaftsbeziehungen sind vergleichsweise stärker durch emotionale Nähe, Kooperationsbeziehungen (mit Nichtverwandten) stärker durch wahrgenommene Reziprozität und Partnerschaften durch hohe Ausprägungen in beiden Qualitäten charakterisiert. Zweitens erwies sich die Bereitschaft, Beziehungen auch unter ungünstigen Bedingungen aufrecht zu erhalten, als ein zentrales Kennzeichen der aktiven Beziehungsregulation. Diese Bereitschaft war generell am stärksten in Partnerschaften ausgeprägt, gefolgt von Verwandtschafts- und Freundschaftsbeziehungen. Besonders ältere Teilnehmerinnen und Teilnehmern zeichneten sich durch die Bereitschaft aus, Beziehungen aufrecht zu erhalten, insbesondere dann, wenn die fraglichen Beziehungen konsistent durch starke emotionale Nähe charakterisiert waren. Drittens waren Beziehungsdifferenzierung und Beziehungsregulation über verschiedene Familienformen vergleichbar, was eher für ihre Robustheit als ihre Kontextsensitivität spricht. Gleichwohl bedeutet dies nicht, dass Beziehungen statisch und in Stein gemeißelt sind. Im Gegenteil konnte gezeigt werden, dass auch Beziehungen mit genetisch Nichtverwandten als verwandtschaftsgleich oder „wahlverwandt“ erlebt werden können. Beispielsweise wurde deutlich, dass die Qualität der Stiefbeziehungen in Patchworkfamilien vergleichbar war mit der Qualität von Beziehungen in traditionellen Familien. Ferner zeigte sich, dass Freundschaften mitunter intensiver waren als Beziehungen zu Familienmitgliedern, was sogar zu einer höheren Lebenszufriedenheit beitragen konnte. Insgesamt zeigen die Ergebnisse dieses Forschungsprojekts, dass Menschen ihre sozialen Beziehungen mit Hilfe basaler psychologischer Mechanismen (Näheregulation und Reziprozitätsaushandlung) gestalten und dabei flexibel auf die Chancen und Risiken der Initiierung, Aufrechterhaltung und Lösung von Beziehungen reagieren.
Publications
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