Technik für die Zukunft. Giovanni Fontanas frühe Traktate über die Messung von Zeit, Raum und Bewegung 1418-1420
Final Report Abstract
Das Projekt stellt der Fachwelt in einer kommentierten lateinisch-deutschen Edition vier illustrierte Traktate zur Verfügung, die Giovanni Fontana zwischen 1416 und 1420 verfasste. Die auf zivile Technik ausgerichtete historische Forschung gewinnt eine stark erweiterte Materialbasis. Fontana beschrieb die Konstruktion einer komplexen mechanischen Sanduhr mit Selbstdrehmechanismus, verschiedene Ausführungen einer Wasseruhr sowie die neue Methode der Messung von Entfernungen durch Zeit. Die Uhren wurden zu Stoppuhren. Unter den Erkenntnisfortschritten sind besonders hervorzuheben: 1. Die Verwissenschaftlichung von Technik. Als typischer Vertreter des Paduaner akademischen Milieus schrieb Fontana für technikbegeisterte, lateinkundige junge Leser. Von ihnen erhoffte er sich Weiterentwicklungen seiner Erfindungen. Sein Blick richtete sich auf die Zukunft. In strenger Systematik, wie für Scholastiker typisch, exerzierte Fontana geradezu lehrbuchartig die Konstruktion, Variation und Anwendung seiner Geräte durch. Dabei unterlegte der in den rechnenden Künsten gut geschulte Autor das technische Geschehen mit wissenschaftlichen, das heißt naturphilosophischen und geometrischen und mathematischen Erklärungen. 2. Der Schritt von der Theorie zur Praxis. Bisher hatten die Naturphilosophen im Anschluß an Aristoteles theoretisch über Zeit, Raum und Bewegung sowie die Messung der einen Größe durch die andere nachgedacht. Fontana machte sich konkret Gedanken über die praktische Nutzung dieser Möglichkeiten und experimentierte zudem selbst. Er ließ künstliche Tiere mit Feuerantrieb eine bekannte Strecke zurücklegen. Unter Zugrundelegung der ermittelten Geschwindigkeit sollten unbekannte Entfernungen sich unter sonst gleichen Bedingungen mit der Stoppuhr messen lassen. Die kühnen Entwürfe, deren Schwächen der Urheber nicht verhehlte, sind auch Ausdruck einer Interessenverlagerung in der Naturkunde, die zunehmend mathematisiert wurde. Allmählich verschob sich der Akzent von der qualitativen Analyse hin zu einer quantitativ-metrischen Erfassung der Welt. Zwei „Überraschungen“ bestätigten unverhofft das innovative Potential des Autors: 1. In Kenntnis der Uhrentraktate gelang es, Fontana als Autor des illustrierten Codex Wien 5153* zu identifizieren. Darin entwickelte er unter anderem eine gelehrte Systematik der Zähne und Zahnräder für mechanische Uhren und entwarf zugleich eine technische Terminologie in lateinischer Sprache, wie man sie in keinem anderen zeitgenössischen Text findet. 2. Der interdisziplinäre Austausch mit dem Lehrstuhl für Informatik 7 mündete in eine Neudeutung, Edition und Übersetzung eines Traktats über Memoriergeräte. Es stellte sich heraus, dass mehrere Instrumente, die das menschliche Gedächtnis als Maschine nachbildeten, zugleich als Chiffriergeräte taugten. Zur Zeit Fontanas war die Technik für eine mechanische polyalphabetische Substitution nach der Methode von Vigenère (1586) vorhanden. Die Thomas Jefferson um 1795 zugeschriebene Chiffrierwalze findet sich bei Fontana um 1430. Der vorwärtsgewandte Autor Fontana bereicherte die Fachliteratur zu Uhrenbau und Messtechnik um innovative Beiträge. In seiner ganzen Bedeutung ist er gewiss noch nicht erkannt. Das Hauptwerk seiner Reifezeit über die Konstruktion und Anwendung eines raffinierten, neuartigen Dreiecks bei terrestrischen und astronomischen Messungen bleibt noch zu erschließen.
Publications
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Raketenantrieb um 1420: Ideen und Experimente des venezianischen Arztes Johannes Fontana, in: Eloquentia copiosus. Festschrift für Max Kerner zum 65. Geburtstag, hg. v. Lotte Kéry, Aachen 2006, S. 315-333, Illustr.
Horst Kranz
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Akademische Technik im 15. Jahrhundert. Inhalt und Vokabular einer wiederentdeckten Jugendschrift, in: Technikgeschichte 74, 2007, S. 119-147, Illustr.
Horst Kranz
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Technische Visionen um 1420: Entwürfe des venezianischen Arztes Johannes Fontana, in: GeschichtsBilder. 46. Deutscher Historikertag in Konstanz 2006, Berichtsband, hg. v. Clemens Wischermann u. Armin Müller, Rudolf Schlögel u. Jürgen Leipold, Konstanz 2007, S. 99
Horst Kranz
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Mechanisches Memorieren und Chiffrieren um 1430. Johannes Fontanas Tractatus de instrumentis artis memorie (Boethius 59), Stuttgart 2009, 167 S., Illustr.
Horst Kranz ; Walter Oberschelp