Der Diskurs der Heilung als Metapher für die Selbstdefinition der amerikanischen Nation in Texten aus dem Bürgerkrieg und der Reconstruktion
Final Report Abstract
Das Forschungsprojekt untersucht welche Vorstellungen weiße Amerikaner und Amerikanerinnen aus den Nordstaaten über das Zusammenleben nach der sogenannten "Second Founding" entwickelten. Es fragt nach deren Hoffnungen und Ängsten und analysiert die Diskurse mittels derer gesellschaftliche Hierarchien legitimiert bzw. nivelliert wurden. Der Fokus liegt auf den Verhandlungsstrategien einzelner Texte und auf der Entwicklung dieser Strategien bis in die 1880er Jahre. Um diesen Prozess nachzuzeichnen, analysiert das Projekt nichtliterarische und literarische Texte, die zwischen 1861 und 1882 verfasst wurden. Sechs Kapitel untersuchen eine große Bandbreite an Genres (Briefe, Tagebücher, sensationallstische, religiös inspirierte und utopische Literatur, Gedichte). Mit dieser Mischung aus "privaten" und "öffentlichen" Texten wird die Spannbreite einer Diskussion deutlich, die eine breite Leserschaft ansprach. Ziel dieser Untersuchung ist es, nachzuweisen, dass die reconstruction die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts stärker prägte als allgemein angenommen. Durch close readings wird nachgewiesen, dass der antidemokratische backlash der Nachkriegszeit von einer Bereitschaft zu mehr Demokratie begleitet wurde, die sich aufgrund ihrer ambivalenten Grundhaltung selber torpedierte. Während selbst progressiven Männern der Mut fehlte, sich bedingungslos hinter die Forderungen der women suffrage zu stellen, fürchteten Frauen den Verlust ihres gesellschaftlichen Einflusses, sollten Afroamerikaner an politischen Entscheidungsprozessen beteiligt werden. Das Forschungsprojekt analysiert erstmals die systematische Ausweitung dieser zwiespältigen Haltungen in der Literatur und Ihre Steigerung im Verlauf der reconstruction. Diskussionen zu Immigration und Urbanisierung überlagerten die "Second Founding" also nur scheinbar: Wie das Projekt nachweist haben viele Debatten der 1870er und 1880er Jahre ihre Wurzeln im Bürgerkrieg und in den frühen Jahren der reconstruction. Auch die zunehmend selbstbewusste Haltung weisser Frauen gründete nicht nur in den Entwicklungen der gilded age sondern in der gender-Problematik der 1860er Jahre. Versteckt hinter einem legitimierenden Diskurs der "Heilung", der sich mit der Zulassung von Frauen als Krankenschwestern als Formel für die besondere Eignung (oder Nicht-Eignung) von Frauen als politische Kraft etabliert hatte, verhandelten diese Texte die Figuration der Gesellschaft nach der Abschaffung der Sklaverei. Man kann, so ein Ergebnis der Untersuchung, sämtliche Texte der reconstruction als Suche nach einer dem neuen Gemeinwesen gerecht werdenden Sprache verstehen. Einige Diskurse erwiesen sich als überraschend langlebig. Eine besondere Rolle kommt der Religion zu; so erwies sich die Vielgestaltigkeit der Second Great Awakening als besonders anpassungsfähig an die Erfordernisse der Nachkriegszeit. Spannend ist auch, wie die Auseinandersetzung über demokratische Partizipation mithilfe der Debatte über die Zukunft der Religion im Zeichen naturwissenschaftlicher und anthropologischer "Erkenntnisse" geführt wurde. Erstaunlich ist auch die anhaltende Fiktionsskepsis und der Versuch einiger Autorinnen und Autoren, die Definitionsmacht über die Funktion des Literarischen zu erlangen. Ein Teil der Texte war auf bestimmte Wirkungen abgestimmt und verfolgte ein politisches Bildungsziel. Andere delegierten ideologische Entscheidungen an die Lesenden. Indem das Projekt einerseits kulturelle Praktiken wie der Schreiben von Briefen als demokratische Übung interpretiert und andererseits zeigt inwiefern fiktionale Werke bis in die 1880er Jahre hinein die Diskussion über die "Second Founding" wach hielten, verweist es auf einen erstaunlich langlebigen und umfassenden gesellschaftlichen Diskurs über die demokratische Zukunft des Landes.
Publications
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Quigley, David, The Second Founding. New York City, Reconstruction, and the Making of American Democracy (NY: Hill and Wang, 2004). In: AMSTDY-net Civil War (2007)
Kirsten Twelbeck