Molekularbiologische Mechanismen der Kryptobiose bei Tardigraden (MOMENTA)
Final Report Abstract
Der niederländische Naturforscher Anton van Leeuwenhoek machte 1702 als erster die Entdeckung, dass beim Rehydrieren von Moos und Laub aus einer Dachrinne, kleine Organismen scheinbar zum Leben erwachen, die er als "animacules" (mikroskopische Tierchen) bezeichnete. Der Quedlinburger Pfarrer J. A. E, Goeze beschrieb im Jahr 1773 erstmals einen "kleinen Wasserbären". Nur wenige Jahre später, 1774 und 1776, entdeckten die beiden Italiener B. Corti und L. Spallanzani, dass Bärtierchen wiederholt eintrocknen und nach dem "Tode" Wiederaufleben können. L. Doyeres behauptete in "Memoire sur les Tardigrades" (1840-1842), dass die Tiere die Fähigkeit zum Wiederaufleben bewahren, wenn das Austrocknen langsam von statten geht. Dies führte zu einem heftigen Disput in der Wissenschaftswelt. Die Auseinandersetzungen wurden 1859 von der Societe de Biologique in Paris entschieden, und man schloss sich der Meinung von L. Doyeres an. Weitere hundert Jahre vergingen, bis Keilin (1959) eine erste Zusammenfassung über "The Problem of anabiose or latent life: history and current concept" publizierte. Darin definierte er die Kryptobiose als den Zustand eines Organismus, der keine sichtbaren Lebenszeichen mehr zeigt bzw. in dem Metabolismus nicht mehr nachweisbar ist oder der zu einem reversiblen Stillstand kommt. Die Kryptobiose kann das Resultat eines Trocknungsprozesses (Anhydrobiose), niedriger Temperaturen (Kryobiose), Fehlen von Sauerstoff (Anoxybiose), hoher Salzkonzentrationen (Osmobiose) oder eine Kombination der genannten Faktoren sein. Diese Fähigkeiten besitzen Vertreter von vielen Invertebratentaxa, wie enzystierte Embryonen niederer Kebse (Crustaceen), Rädertierchen ("Rotatoria"), Fadenwürmer (Nematoda) und Bärtierchen (Tardigrade). Aber auch viele Prokaryonten wie Bakterien und Blaualgen, Pflanzensamen und sogar pflanzliche Gewebe von einigen höheren Pflanzen haben diese Fähigkeit entwickelt. Besonders erwähnenswert ist hier die Auferstehungspflanze Sefaginefla lepidophylla, auch als "Rose von Jerchio" bekannt. In einem kryptobiotischen Stadium zeigen Tardigraden eine außergewöhnliche Toleranz gegenüber physikalischen Extremen, der kurzzeitigen Exposition bei sehr hohen Temperaturen und anhaltenden Expositionen bei sehr geringen Temperaturen. Wenn die Umweltbedingungen wieder adäquat sind, können die "Tönnchen" rehydriert werden und nehmen Stoffwechselaktivität auf. Mehrere Mechanismen spielen bei Tardigraden vermutlich beim Schutz der lebenden Zellen eine Rolle. Zu diesen gehören unter anderen (1) die Reduzierung des Stoffwechsels, wie durch das "Sleeping Beauty" Model beschrieben wurde durch unsere Untersuchung der Auswirkungen des anhydrobiotischen Stadiums auf die Lebensdauer und somit auf den Lebenszyklus der Tardigraden und (2) die Ansammlung bzw. Induktion bestimmter Streßproteine, wie der Hitzeschockproteine (Hsps) und der late embryogenesis abundant (LEA) Proteine. Erstere konnten auf Proteinebene bei anhydrobiotschen Tardigraden und Tardigraden, die zur Untersuchung der zellulären Reaktion bestrahlt worden waren, nachgewiesen werden. Das Vorliegen putativer LEA-Proteine konnte ebenfalls gezeigt werden. Weitere Ergebnisse werden hierzu noch in den fortlaufenden Arbeiten erwartet. (3) Weiterhin scheint die Erhaltung der biologisch relevanten Struktur von Makromolekülen durch die Anreicherung von Metaboliten, wie glasformenden Komponenten, notwendig. Dass die Akkumulation von Trehalose keine generelle Anpassung zur Stabilisierung von Zellen darstellt, konnte zumindest bei der Tardigradenart Milnesium fardigradum aufgezeigt werden. Das Entfernen von intrazellulärem Wasser verursacht drastische Änderungen der inter- und intramolekularen Interaktionen. Während des Austrocknens kompensieren interzelluläre Proteine und Membranen den Verlust von Wasserstoffbrücken mit Wasser durch Wasserstoff brücke n mit anderen Molekülen. Dies führt zu erzwungenen intermolekularen Interaktionen zwischen Molekülen, die normalerweise in Anwesenheit von Wasser nicht miteinander reagieren würden. Protein-Protein Interaktionen, die durch Wasserverlust herbeigeführt wurden, können irreversible Konformationsänderungen zur Folge haben und in Enzymen zu einem Verlust der Enzymaktivität führen Wasserverlust kann bei Membranen zu einer Phasentransition von der biologisch aktiven, flüssigen Phase zur Gelphase führen. Zudem kann Wasserverlust in der Fusion von Zellorganellen resultieren. In Zellen, die eine Dehydrationstoleranz aufweisen, werden molekulare Interaktionen während des Trocknens dahingehend kontrolliert, dass verschwundene Wasserstoffbrücken durch reversible Molekülinteraktionen ersetzt werden. Das bedeutet, dass Biomoleküle und zelluläre Strukturen vor der Zersetzung durch Dehydration geschützt sind und nach der Rehydration ihre vorherige natürliche Konformation wieder aufnehmen können. In dehydrationssensitiven Zellen hingegen führt das Fehlen einer solchen Kontrolle über die Molekülinteraktionen dazu, dass in diesen Zellen erhaltene Biomoleküle und zelluläre Strukturen nach dem Verschwinden des Stressors nicht wieder ihre ursprüngliche funktionelle Konformation einnehmen können. Das Projekt hatte eine Charakterisierung und Quantifizierung molekularer Toleranzmechanismen, die es Tardigraden ermöglichen, im Stadium der Kryptobiose zu überleben, zum Ziel. Bislang ist auf dem Gebiet der Anhydrobiose nur wenig bekannt. Daher musste das Arbeitsprogramm in einigen Fällen modifiziert werden, um zuvor weitere Grundlagen zu bearbeiten.
Publications
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