Quantifizierung der Grenzflächenspannung entmischter Gläser
Final Report Abstract
Gläser erfahren aufgrund herausragender Materialeigenschaften breite Anwendung in den Bereichen Architektur, Verkehr, Energie und Umwelt. Konstante optische und mechanische Eigenschaften stellen eine Grundvoraussetzung für ihre massenhafte Herstellung durch Heißformgebungsverfahren (Floaten, Ziehen, Pressen) dar und sind in der homogenen, gefügefreien Struktur des Glases und ihrer Relaxation begründet. Im Gegensatz hierzu können in Gläser in folge einer speziellen thermischen Behandlung mikro- und nanostrukturierte Gefüge mittels flüssig-flüssig Phasentrennung eingestellt werden, die für besondere Anwendungen, z.B. als Membrane und Filter in der Photonik, Bio- und Medizintechnik von Bedeutung sind und als teillösliche Halbzeuge zur Herstellung hochschmelzender Gläser (z.B. Vycor-Prozess) oder Nanopartikel dienen. Die Kenntnis der flüssig-flüssig Grenzflächenspannung in Gläsern ist für das Verständnis und die Steuerung von Entmischungsprozessen entscheidend, bleibt jedoch im Detail unverstanden. Es fehlt im Besonderen eine geeignete Messmethodik für relevante oxidische Glassysteme. Daher soll das Vorhaben prüfen, wie emulsionsrheologische Verfahren, die u.a. in der Bohr- und Erdöltechnik z.B. als „spinning drop“ Methode eingesetzt werden, in hochviskose Glasschmelzen übertragbar sind. Ziel des Projektes ist daher Verformungen in binodalen Tröpfchengefügen zu induzieren, um mittels strömungsmechanischer Kenngrößen eine direkte Bestimmung der während der Verformung herrschenden flüssig-flüssig Grenzflächenspannung zu erzielen. Die wesentlichen Ergebnisse seit der Antragstellung sind: Es wurden die strömungsmechanischen Grundlagen für verformende Flüssigkeitstropfen in Emulsionen erarbeitet, die die Abhängigkeit der Tropfendeformation von Kapillaritätszahl und Viskositätsverhältnis aufzeigen. Hierdurch wurde es möglich, aus der Beobachtung der Tropfendeformation bei bekannten Fließwiderständen und Verformungsraten die wirkende flüssig-flüssig Grenzflächenspannung zu extrahieren. Aufgrund der Möglichkeit mechanisch induzierte Texturen in entmischten Gläsern durch Abkühlen unter Last „einzufrieren“ wurde die in-situ Beobachtung der Tropfenverformung durch eine ex-situ Analyse ersetzt. Durch Wiedererwärmung ohne Last kann zudem die flüssig-flüssig Grenzflächenspannung aus der Tropfenformrelaxation bestimmt werden. Die Trennung der Tropfenverformung bei Temperaturen oberhalb der zwei Glastransformationstemperaturen von der Texturanalyse bei Raumtemperatur ermöglichte eine Auswertung von mikroskopischen Gefügeaufnahmen aus der Literatur. Hieraus wurden für entmischte Alkaliborosilicat- und Bleiboratgläser flüssig-flüssig Grenzflächenspannung von ca. 120 und ca. 80 mJ m-2 bestimmt. Das Bruchverhalten von entmischten Gläsern bei Raumtemperatur hängt von den Verhältnissen der Grenzflächenspannung zu Oberflächenspannungen sowie von den Differenzen der Glastransformationstemperatur und der thermischen Ausdehnung von Tropfen- und Matrixglas ab. Somit kann der Riss entweder durch oder um einen Tropfen laufen. In entmischten Bleiborat-Gläsern mit einem B 2 O 3 reichen Tropfenglas kommt es zu einer vollständigen Abtrennung der Tropfen aus den beiden Bruchoberflächen, was eine Analyse der Tropfenform und –population mittels AFM-Oberflächentopometrie (AFM = Atomkraftmikroskopie) ermöglicht. Im System PbO-B 2 O 3 liegt eine stabile Entmischung vor, so dass mechanisch induzierte Tropfentexturen und sowie Tropfenpopulationen in lastfreien Schmelzen mittels AFM gemessen werden konnten. Durch die Bestimmung sowohl der flüssig-flüssig Grenzflächenspannung als auch der Vergröberungsrate der Tropfenpopulation (Ostwald-Reifung) konnte der kinetische Koeffizient des Transports von Teilchen durch die flüssig-flüssig Grenzfläche (Diffusivität) erstmals ohne Annahmen bezüglich der energetischen Situation an der Grenzfläche bestimmt werden. Der Vergleich von Ionendiffusivitäten (Tracerexperimenten) und Netzwerkbeweglichkeiten (Viskosität) mit der Vergröberung deutet auf eine Entkopplung der Zeitskalen für die Dynamik der Grenzflächenreaktion von denen des viskosen Fließens hin. Danach scheinen die atomaren Vorgänge, die zur Reifung des Gefüges in diesem Glas führen schneller abzulaufen, als die Beweglichkeit des Netzwerkes, was auf einen eher lokalen Transportmechanismus vergleichbar zu dem von Netzwerkwandlern hinweist. Die emulsionsrheologische Methode zur Bestimmung der flüssig-flüssig Grenzflächenspannung basiert auf der Tropfendeformation, d.h. die Tropfenviskosität ist geringer als die der Matrix, was die chemische Zusammensetzung des Ausgangsglases auf die netzwerkbildnerreiche Seite eines Entmischungsbereiches limitiert. In technischen Glassystemen (Silicat, Borosilicat) begrenzen hohe Liquidustemperaturen und Viskositäten die Erschmelzbarkeit dieses Bereiches in der Laborpraxis. Um die Anwendbarkeit des emulsionsrheologischen Verfahrens zu vergrößern, müssten exemplarisch „Spiegelexperimente“ durchgeführt werden, bei denen die chemische Zusammensetzung von zwei Ausgangsgläsern so gewählt werden, dass nach der Entmischung identische Phasenanteile und Gleichgewichtszusammensetzungen an den Phasengrenzen vorliegen, jedoch einmal als Tropfen und einmal als Matrix. Durch Vergleich der Grenzflächenspannung für das Glas mit festem Tropfen (kinetische Methode) und das Glas mit deformierbaren Tropfen (emulsionsrheologisches Verfahren) könnten Abweichungen von der Gleichwertigkeit beider Grenzflächen experimentell erfasst werden. Auf Basis dieser Versuche wäre die Quantifizierung der Grenzflächenspannung für alle Ausgangsgläser einer Konode denkbar. Neben der chemischen Variation müssten in künftige Arbeiten auch die thermische Abhängigkeit der Grenzflächenspannung weiter untersucht werden. Dieser Effekt ist für die meisten Systeme (Na 2 O-SiO 2 , Na 2 O-B 2 O 3 -SiO 2 ) mit der Veränderung der binodalen Zusammensetzung verbunden, d.h. der Entmischungsbereich weist eine Kuppelform auf, so dass für geeignete Temperaturen chemische und thermische Beiträge nicht voneinander getrennt werden können. Im Bleiborat-System dagegen erscheint eine Trennung möglich, da die binodalen Zusammensetzungen über einen weiten Temperaturbereich nahezu konstant sind (= „kastenförmige“ Entmischungsbereich mit hoher Mischungsentropie). Es wurden mit diesem Projekt Grundlagen erarbeitet, die zum Verständnis der flüssig-flüssig Grenzflächenspannung in Gläsern beigetragen haben. Diese wurden zunächst für das System Bleiborat im Detail untersucht. Mit der Übertragung des emulsionsrheologischen Verfahrens in hochviskose Glasschmelzen und einer ersten Bestimmung im technisch relevanten System Borosilicat erscheint es möglich, die Quantifizierung dieses Kernparameters weiter zu optimieren und für die Steuerung von Entmischungsprozessen, die in speziellen Gläsern und Glaskeramiken zu nano- und mikrostrukturierten Gefüge führen, technisch nutzbar zu machen.
Publications
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Interfacial Energy in Phase-Separated Glasses from Emulsion Rheology. J. Am. Ceram. Soc. 88 (2005) [6] 1673- 1675
Wondraczek, L.; Deubener, J.; Pozo, H.; Habeck, A.
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Interfacial Energy in Phase-Separated Glasses from Emulsion Rheology. Procs. ISNCS 2005, III. International Symposium on Non-Crystalline Solids & VII. Brazilian Symposium on Glass and Related Materials, Maringá (Brasilien), Eds.: M.L. Baesso, A.C. Bento, Universidade Estadual de Maringa, p.79
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Dittmar, A.; Wondraczek, L.; Deubener, J.
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Liquid-liquid interfacial energy in phase separating glasses. Procs. 8th International Symposium on Crystallization in Glasses & Liquids, 2006, Jackson Hole (USA), Ed.: M.J. Davis, Wiley CD-ROM, ISBN 978-0- 470-09732-8, Meeting GuideGuide – Abstract Book, p. 12
Deubener, J.; Dittmar, A.; Wondraczek, L.
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Determination of the interfacial energy in phase separated glasses. Procs. ACerS 2007 Glass & Optical Materials Division Meeting & 18th Univ. Conf. on Glass, 2007, Rochester (USA), Eds.: M. Hall, C. Click, Wiley - CD-ROM, ISBN 978-0-470-39241-6 Meeting Guide - Abstract Book, p.22-23
Dittmar, A.; Deubener, J.; Wondraczek, L.