Die Retina von schwach elektrischen Fischen - ein hochspezialisiertes Sinnesorgan mit unbekannten Funktionsprinzipien Teilprojekt 1: Besonderheiten der retinalen "Hardware" des Elefantenrüsselfisches
Final Report Abstract
Die Netzhaut der Wirbeltiere hat im Verlauf der Evolution eine beeindruckende Diversität von Spezialisierungen erfahren, die als Lehrbeispiele für die Adaptation an unterschiedliche Habitate gelten (z.B. Fovea centralis der Primaten / Retina von Tiefseefischen). Bisher unverstanden war dagegen die Funktion der sogenannten "grouped retinae" bei bestimmten Fischen, beispielsweise beim Elefantenrüsselfisch Gnathonemus petersi, der in unserem Projekt untersucht wurde: Hier ist jeweils eine Vielzahl von Photorezeptoren in Bündeln ("Makrorezeptoren") zusammengefaßt, so daß die räumliche Auflösung der visuellen Information extrem grob ist. Die Außensegmente der Stäbchen sind klein und zur Lichtabsorption ungünstig positioniert, so daß die Retina auch nicht für hohe absolute Lichtempfindlichkeit optimiert erscheint. Ziel des Projektes war es - in Kooperation mit der Arbeitsgruppe von Prof. Wagner, Tübingen, und den verhaltensbiologisch ausgerichteten Begleitprojekten der Arbeitsgruppen Schuster und von der Emde - die strukturell determinierten Funktionsprinzipien der Retina des Elefantenrüsselfisches Gnathonemus petersi aufzuklären. Dazu wurden aktuelle morphologisch/morphometrische Verfahren, konfokale Lichtreflektionsmessungen und Elektroretinographie sowie mikrospektroskopische und physikomathematische Verfahren eingesetzt. Wir konnten zeigen, daß die Lichtreflektion in den Bechern rotes Licht bevorzugt und eine Verstärkung der Lichtintensität oberhalb des Becher-Bodens – wo die Zapfenaußensegmente lokalisiert sind - um einen Faktor bis zu 7 (!) gegenüber dem einfallenden Licht bewirkt. Dies bedeutet eine verstärkte Stimulation (bzw. erhöhte Sensitivität) der Zapfen um fast eine Größenordnung, die mit dem „konventionellen“ Tapetum anderer Wirbeltiere nicht erreichbar ist. Die spiegelnden RPE-Becher vereinigen darüber hinaus die „Arbeitsbereiche“ von Stäbchen und Zapfen und erweitern somit den Lichtintensitätsbereich des mesopischen Sehens in dem Zeitraum des Tages (Morgen- und Abenddämmerung), in dem die Tiere – und ihre Jäger – aktiv sind. Die additive Verrechnung der Stäbchen- und Zapfensignale ermöglicht es den Tiereen außerdem, „farbverschleierte“ Signale (rot-grün-„gepixelt“) zuverlässiger zu detektieren. Schließlich wendet sich der Nachteil einer geringen Kontrastsensitivität (und Bildauflösung) im Lebensraum der Tiere, einem trüben Schwarzwasserhabitat, in einen Vorteil: Die Fische zeigen eine starke Rauschtoleranz. Unter Bedingungen, unter denen nur „verrauschte“ Bilder verfügbar sind, erlauben die „low-pass“-Filtereigenschaften der „grouped retina“ die zuverlässige Detektion großer, bewegter Objekte. Zusammenfassend haben die Arbeiten am Projekt neue und größtenteils unerwartete Einsichten in die Funktionsweise eines bisher unverstandenen Organisationsprinzips der Wirbeltiernetzhaut ergeben, die eine Verständnis-Lücke bezüglich der Netzhautspezialisierungen von Wirbeltieren schließen und die möglicherweise auch für bestimmte technische Anwendungen interessant sein könnten.
Publications
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(2008). Dim light vision – morphological and functional adaptations of the eye of the mormyrid fish, Gnathonemus petersi. J. Physiol. (Paris) 102: 291-303
Landsberger M, von der Emde G, Schuster S, Reichenbach A, Gentsch J, Haverkate D, Wagner HJ
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A new glance at glia. Science 322 (2008) 693-694
Reichenbach A, Pannicke T.
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Die Wirbeltiernetzhaut – ein merkwürdiges Sinnesorgan. Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften 130 (6) 2008, pp 1-40
Reichenbach A.
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Ependymal glia. In: Squire L et al. (eds) The New Encyclopedia of Neuroscience, Vol. 3, 2009, pp 1133-1140
Wolburg H, Wolburg-Buchholz K, Mack A, Reichenbach A