Forschungen zur Sozialgeschichte der mediterranen Sklaverei im Mittelalter. Ober- und Mittelitalien (13. bis 15. Jahrhundert)
Final Report Abstract
Die Sklaverei in den westlichen Mittelmeerländern während des hohen und späten Mittelalters ist unterschiedlich bewertet worden. Während die einen sie unter Hinweis auf ihre überwiegend "häusliche" Verortung als Sonderform häuslicher Dienstverhältnisse (domesticite} relativieren, haben andere in den mittelalterlichen Einstellungen und Praktiken die Anfänge der späteren, rassistisch begründeten Sklaverei in den amerikanischen Kolonien entdeckt. In den großen, vergleichend angelegten Entwürfen, die sich der soziologischen oder anthropologischen Bestimmung von Sklaverei widmen, spielen die mittelalterlichen Verhältnisse praktisch keine Rolle, wie diese Entwürfe auch umgekehrt in der mediävistischen Forschung weitgehend unbeachtet geblieben sind. Trotz der in den letzten Jahrzehnten intensivierten Beschäftigung mit der mediterranen Sklaverei des Mittelalters blieb also bislang eine Grundfrage, nämlich die nach dem Sklavereicharakter der beschriebenen Beziehungen, ungeklärt. Die Projektarbeit hat sich unter dieser Fragestellung exemplarisch mit dem Schicksal von Frauen und Mädchen in "häuslicher" Sklaverei befasst; für die untersuchten Städte Genua und Pisa war dies die typische Form. Die Quellengrundlage besteht hauptsächlich aus unveröffentlichten Notariatsakten, die in hohem Maße formelhafen Charakter aufweisen. Der körperlichen Beschreibung kommt in ihnen ein höherer Stellenwert zu als dem Namen; die ausdrückliche Markierung von "Fremdheit" fehlt weitgehend. Städtische Statuten ihrerseits repräsentieren Sklaven als Teil einer sozialen Gruppe, die auch andere Abhängige umfasst. Die Klassifikationsweisen der Sklavenhalter sind insgesamt gekennzeichnet von einer Spannung zwischen räumlicher Aneignung und sozialer Distanzierung Vor diesem Hintergrund gewinnen die folgenden Befunde zum Los von Frauen in Sklaverei an Gewicht: 1. Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts wuchsen die ökonomischen Anreize, Sklavinnen als Ammen einzusetzen. Die Ansprüche der Sklavenhalter auf die Sklavin bezogen sich also nicht mehr allein auf die Arbeitsleistung ihres Körpers, sondern auch auf dessen spezifisch weiblichen Funktionen. Dass zu den Voraussetzungen für diese Option die Schwangerschaft und folglich auch Sexualkontakte der Sklavin gehörten, die sie in Anbetracht ihrer Hilflosigkeit wohl häufiger erzwungen als freiwillig einging, wurde dabei billigend in Kauf genommen. Legitime Mutterschaft und Familiengründung blieb ihr aber verweigert, solange sie Sklavin blieb, d. h. zumeist bis in ein fortgeschrittenes Erwachsenenalter. 2. Die sexuelle Vulnerabilität der Sklavin lässt sich nicht hinreichend mit den Eigentumsansprüchen des Sklavenhalters erklären. Sie ist vielmehr ein Symptom ihrer "genealogischen Entfremdung" (natal alienation} und der Tatsache, dass ihre Ehre (anders als die mindere Ehre einer freien Dienstmagd) für die Ehrbeziehungen in der Gesellschaft der Herren irrelevant war. Die untersuchten Sozialbeziehungen sind also prinzipiell als Sklaverei anzusprechen; ihr oberflächlich "familiärer" Charakter berechtigt keineswegs zu ihrer Verharmlosung.
Publications
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Die Erneuerung der Sklaverei im Mittelmeerraum während des hohen Mittelalters, Fremdheit, Herkunft und Funktion, in: Unfreie Arbeits- und Lebensverhältnisse von der Antike bis in die Gegenwart. Eine Einführung, hg. von Elisabeth HERRMANN-OTTO, Hildesheim u. a. 2005 (Sklaverei - Knechtschaft - Zwangsarbeit. Untersuchungen zur Sozial-, Rechts-und Kulturgeschichte 1), S. 130-166
HAVERKAMP, Alfred
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Frauen in Sklaverei: Beobachtungen aus genuesischen Notariatsregistern des 14. und 15. Jahrhunderts, in: Campana pulsante convocati. Festschrift anläßlich der Emeritierung von Prof. Dr. Alfred Haverkamp, hg. von Frank G. HIRSCHMANN und Gerd MENTGEN, Trier 2005, S. 85-123
CLUSE, Christoph
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Medieval Mediterranean Slavery: Comparative Studies on the Slave Trade and Slavery in Muslim, Christian, and Jewish Societies (8th-15th C.).
CLUSE, Christoph u. a. (Hg.)
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"Die Repräsentation von Sklaven und Sklavinnen in Statuten und Notariatsurkunden". Vortrag im Rahmen der Tagung "Fremde in der Stadt. Ordnungen, Repräsentationen und Praktiken (13.-15. Jahrhundert)" des Sonderforschungsbereichs 600 an der Universität Trier, 16. Februar 2008
Christoph CLUSE