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Der Topos von der Geschichte des Sehens. Das Problem der Variabilität von Wahrnehmung und Aufmerksamkeit
Antragsteller
Professor Dr. Lambert Wiesing
Fachliche Zuordnung
Theoretische Philosophie
Kunstgeschichte
Kunstgeschichte
Förderung
Förderung seit 2025
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 553452464
Dass die visuelle Wahrnehmung historischen Wandlungen unterliegt, ist eine philosophische These, die erst etwa hundert Jahre alt ist. Seit rund einem halben Jahrhundert ist sie in den diversen Disziplinen, die sich mit Bildern und dem Visuellen beschäftigen sowie in der Philosophie, ausgesprochen verbreitet. Auffällig ist jedoch, dass diese These nur selten detailliert ausgearbeitet und begründet worden ist. Die wenigen Begründungsversuche wurden bislang lediglich ansatzweise systematisch diskutiert. Vor dem Hintergrund dieses Ungleichgewichts setzt sich das Projekt das Ziel, die zentralen Positionen in der Debatte um die Geschichte des Sehens erstmals in einen systematischen Zusammenhang zu bringen und zu prüfen, ob die jeweiligen Autoren ihren Standpunkt überzeugend darzulegen vermögen. Dabei gilt es stets dreierlei im Auge zu behalten: Erstens, was wird in diesen Theorien der Wahrnehmung genau über ihre Veränderlichkeit behauptet, zweitens, wie wird diese Behauptung begründet, und drittens, handelt es sich dabei um eine philosophische oder eine empirische Begründung. Das Projekt verteidigt den Vorschlag, starke und schwache Versionen der These von der Historizität der visuellen Wahrnehmung zu differenzieren: Starke Versionen nehmen die These wortwörtlich, behaupten die Variabilität eines "Wahrnehmungsstils" und stellen Korrespondenzen zu stilistischen Eigenschaften von Bildern her. Schwache Versionen zeichnen sich dagegen dadurch aus, dass sie das Stichwort der "Geschichte des Sehens" metaphorisch verstehen und das Phänomen der variablen Aufmerksamkeit in den Mittelpunkt rücken. Insofern das Projekt für die Überzeugung argumentiert, dass beide Varianten systematische Probleme enthalten, lässt sich seine grundlegende Ausrichtung als skeptisch und sprachkritisch charakterisieren: Erstens soll gezeigt werden, dass man anhand des Aussehens von Bildern nicht wissen kann, wie Menschen vergangener Epochen gesehen haben. Und zweitens soll herausgearbeitet werden, dass es im Fall der Aufmerksamkeit zwar plausibler ist, sie als historisch variabel einzustufen, jedoch die Gefahr besteht, einem irreführenden Jargon Vorschub zu leisten, wenn man dies mit einer Geschichte des Sehens gleichsetzt. Die Phänomenologie hat sich bisher nicht erkennbar an der Diskussion des Topos von der Geschichtlichkeit der Wahrnehmung beteiligt. Konkret bedeutet dies, dass es in der Diskussion bisher noch keinen Vorschlag gibt, der die erstpersonale Perspektive des Wahrnehmenden ernst nimmt. Dieses Desiderat soll das Projekt beseitigen, weshalb es in seinem Gesamtanspruch nicht bei einer skeptischen Position stehen bleibt. Der abschließende Anspruch ist vielmehr, durch dezidiert phänomenologische Beschreibungen die Möglichkeiten der Variabilität von Wahrnehmung und Aufmerksamkeit für den Wahrnehmenden zu bestimmen.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen
