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Misslungene Revolutionsdramen oder politische "Kundschafter"? Studien zu Lessings antityrannischen Fragmenten

Antragstellerin Elena Stramaglia
Fachliche Zuordnung Germanistische Literatur- und Kulturwissenschaften (Neuere deutsche Literatur)
Förderung Förderung seit 2025
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 556052313
 
Das Forschungsvorhaben nimmt sich eine synoptische Studie von G. E. Lessings „antityrannischen“ Dramenfragmenten – „Samuel Henzi“ (1749), „Das befreite Rom“ (1749-54), „Masaniello“ (1754+1773), „Spartacus“ (um 1770) – vor, die ihre Funktion und ihren Stellenwert in Lessings Schreibpraxis neu bewertet. Ausgegangen wird dabei von der in der Forschungsliteratur konsolidierten Rückbindung von Lessings zahlreichen unabgeschlossenen Dramenentwürfen an seine kennzeichnende Experimentierlust, die herkömmliche Urteile und Grenzen durch Formen eines stets Neues ausprobierenden und insofern heuristisch aufgefassten Kontroversdenkens hinterfragt (Mauser/Saße 1993, Barner 1998, Fick 2016). Diese Einsicht wird in die These weitergedacht, dass die dramatischen Fragmente nicht nur Produkte von Lessings Experimentierlust, sondern vor allem Räume einer entsprechenden Experimentierpraxis darstellen. Angeknüpft wird dabei an Lessings eigene Erklärung in der Vorrede zu den "Schriften", seine Fragmente seien „Kundschafter“ (WB 2: 605), die ein inhärent vorläufiges und relatives Wissen vermitteln und auf kein Fazit abzielen, sondern im produktiven Konflikt ihrer Teilmomente „nichts als Fermenta cognitionis ausstreuen“ (WB 6: 655). Durch diese Brille betrachtet, sind die antityrannischen Entwürfe nicht einfach gescheiterte heroisch-republikanische Dramen, sondern bieten Lessing einen Schreibraum zur Erprobung verschiedener politischer Positionen und Szenarien. Durch die dramatische Artikulation kollidierender Standpunkte eröffnen sie Einsichten in die Vielseitigkeit von Lessings politischem Denken, ohne eine bestimmte Orientierung absolut geltend zu machen. Das Projekt beabsichtigt somit zum einen die Herausstellung einer bisher unterbeleuchteten Dimension politischen Experimentierens in Lessings Schreiben, wobei die Konfliktlinien, die sich durch die Fragmente ziehen, weit über bloße Kunstgriffe hinausgehen und wertvolle ‚Seitenblicke‘ in Spannungen und Problematiken gewähren, die Lessings gesamtes Werk durchströmen und indirekt Gesamtzüge der deutschen Aufklärung manifestieren. Angestrebt wird zum anderen ein umfassendes Umdenken von Lessings Fragmenten, das diese – angefangen mit den antityrannischen Handlungen, doch perspektivisch auch darüber hinausgehend – vom Stigma des ‚Gescheiterten‘ befreit und für neue Forschung öffnet. Es sollen insbesondere neue Anstöße für eine intensivere Untersuchung der Fragmente als privilegierten Ort entstehen, an dem Lessing jene Offenheit für das Neue, das Fremde und das Kontroverse konkret praktiziert, die ihm von der Sekundärliteratur prinzipiell schon längst anerkannt (vgl. Albrecht 2005b) und von jüngsten Forschungsansätzen speziell fokussiert wurde (am systematischsten von Niefanger 2023). Nicht zuletzt wird dadurch eine modern anmutende, mit frühromantischen Auffassungen bereits dialogisierende Funktion der Fragment-Form bei Lessing als Raum der Erkundung, der Selbstverständigung und des diskursiven Angebots beleuchtet.
DFG-Verfahren WBP Stelle
 
 

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