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Kontinuität und Wandel jüdischer Raumorganisation in den deutschen Landen zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit

Antragstellerin Professorin Dr. Lucia Raspe
Fachliche Zuordnung Religionswissenschaft und Judaistik
Frühneuzeitliche Geschichte
Förderung Förderung seit 2025
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 517713369
 
Zu den grundlegenden Veränderungen in der deutsch-jüdischen Geschichte im Übergang zur Frühen Neuzeit zählt das Ende der alten urbanen Gemeinden durch die Vertreibungen des ‚langen‘ 15. Jhs., die vielfältige Migrationsbewegungen innerhalb und außerhalb des deutschsprachigen Raums zur Folge hatten. Für die im Reich verbliebenen Juden bedeuteten sie eine Verlagerung des Siedlungsschwerpunkts in ländliche Lebenswelten, die nach dem gängigen Narrativ mit einer Zersplitterung jüdischen Lebens verbunden war, welche erst im 17. Jh. einer Phase allmählicher Konsolidierung wich. Nun waren ländliche Siedlungsformen im aschkenasischen Judentum schon im Mittelalter keineswegs ungewöhnlich. Solche Niederlassungen im ländlichen Raum verfügten häufig nicht über eine eigene gemeindliche Organisation, sondern waren in vielfacher Weise auf die traditionsreichen städtischen Gemeinden hin ausgerichtet, die mit ihren Synagogen, Friedhöfen und Rabbinatsgerichten Zentralfunktionen für das jeweilige Umland, die medina, übernahmen; hierzu konnte auch die politische Vertretung der regionalen Judenschaft gegenüber christlichen Herrschaftsträgern gehören. Mit dem Wegfall fast aller urbanen Zentralgemeinden seit Ende des 14. Jhs. geriet diese alte jüdische Raumordnung aus den Fugen. Was blieb, waren die Niederlassungen in den jeweiligen Peripherien, die nun versuchten, die Traditionen ihrer ehemaligen Zentren aufrechtzuerhalten. An den alten Friedhöfen wurde nach Möglichkeit festgehalten, ihre identitätsstiftende Funktion, wo dies nicht möglich war, auf neu gegründete Friedhöfe übertragen. Auch der synagogale Ritus der alten Zentren blieb vielerorts präsent; in einzelnen Fällen konnte sich deren Liturgie trotz fehlender Siedlungskontinuität bis in die Druckausgaben des 18. Jhs. halten. Das TP fragt nach dem Zusammenhang zwischen solchen verwaisten Peripherien und den überörtlichen Gebietskörperschaften, die bereits im 16. Jh. in Erscheinung traten, bevor sie in den späteren Landesjudenschaften aufgingen, welche insbesondere nach dem Dreißigjährigen Krieg als Instrumente fürstlicher Territorialherrschaft große Verbreitung fanden. Es untersucht anhand einer Auswahl von 'Ländern' (medinot), in welchem Maße sich ältere Raumstrukturen halten konnten, wo und warum es im Fortgang zu einem Abbruch oder Neuanfang kam und auf welche Weise die alte Raumordnung dann territorial überformt wurde. Diese Vorgänge zu erhellen und aus der Perspektive der beteiligten jüdischen Akteure zu verstehen, stellt eine Kernaufgabe der FOR dar. Das TP wertet dazu vorrangig die innerjüdische Überlieferung systematisch aus und bringt sie in Dialog mit ausgewählten Quellen externer Provenienz. Auf diese Weise möchte es zeigen, wie die in Deutschland verbliebenen Juden ihre veränderten Lebenswelten gestalteten, indem sie sie in größtmögliche Kontinuität zu den Organisationsformen der Vergangenheit setzten.
DFG-Verfahren Forschungsgruppen
 
 

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