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Undurchsichtige Muster des kulturellen Traumas: Das ukrainische poetische Kino der 1960er Jahre
Antragstellerin
Dr. Olga Briukhovetska, Ph.D.
Fachliche Zuordnung
Theater- und Medienwissenschaften
Förderung
Förderung seit 2025
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 558423102
Dieses Projekt bietet eine neue Interpretation des ukrainischen poetischen Kinos der 1960er Jahre aus der Perspektive des kulturellen Traumas. Es vertritt die These, dass diese bedeutende, aber noch zu wenig erforschte Kinobewegung als symbolischer Kanal für die Verarbeitung verdrängter traumatischer Erfahrungen diente, indem sie einschneidende gewaltsame Ereignisse des frühen 20. Jahrhunderts indirekt thematisierte. Wissenschaftler*innen haben den formalistischen Ansatz und die unkonventionelle Erzählweise des ukrainischen poetischen Kinos vor allem als Mittel zur Schaffung eines eindeutig ukrainischen Raums auf der sowjetischen Leinwand betrachtet. Ohne den Analyserahmen der nationalen Identität zu verwerfen, erweitert dieses Projekt das Verständnis dieser Filme, indem es die These aufstellt, dass die Filme eine zutiefst traumatisierte Gemeinschaft zeigen, deren Wunden weder geheilt noch anerkannt wurden, und somit die offiziellen Narrative auf tiefgreifendere Weise in Frage stellen, als bisher angenommen. Diese Studie stellt die Hypothese auf, dass das ukrainische poetische Kino der 1960er Jahre poetische Mehrdeutigkeit zur antizipatorischen Konstruktion kultureller Traumata einsetzte, während es gleichzeitig seine inhärente Undurchsichtigkeit zeigte. Durch ein Close Reading verbaler und nonverbaler Elemente, wobei der Schwerpunkt auf letzteren liegt, werden in dem Projekt Muster identifiziert, die auf traumatische Erfahrungen hinweisen. Im Rahmen der eigenen Vorarbeiten konnten bisher drei solcher Muster herausgearbeitet werden: 'langsame Gewalt', 'dissoziatives Dispositiv' und 'verkörperte Zeugenschaft'. ‘Langsame Gewalt’ bezieht sich auf ein verlängertes Sterben, das die Erzählung des jeweiligen Films bestimmt oder sogar unterläuft. Das ‘dissoziative Dispositiv’ umfasst Mechanismen der Subjektpositionierung, die eine traumatische Dissoziation widerspiegeln. ‘Verkörperte Zeugenschaft’ bezieht sich auf nicht-professionelle Schauspieler, die als lebendiges Zeugnis einer zum Schweigen gebrachten traumatischen Vergangenheit dienen. Der neue Forschungsansatz dieses Projekts beleuchtet das komplexe Zusammenspiel von Ästhetik, Politik und kollektivem Leiden und vertieft unser Verständnis der Filme des ukrainischen poetischen Kinos. Durch diesen neuartige Interpretationsrahmen hat das Projekt ein großes Potenzial, wichtige Beiträge zu drei Schlüsselbereichen leisten: 1) Filmwissenschaft, indem es die einzigartige Fähigkeit des Kinos erforscht, komplexe soziale und psychische Prozesse zu visualisieren; 2) ukrainische Kulturgeschichte, indem es das komplexe Zusammenspiel zwischen künstlerischem Ausdruck und gesellschaftspolitischer Unterdrückung beleuchtet; und 3) Traumastudien durch Einführung einer neuen Fallstudie zur antizipatorischen Konstruktion des kulturellen Traumas.
DFG-Verfahren
WBP Stelle
