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Paradigmen des Wahlrechts. Wahlrechtsgestaltung zwischen Personen- und Parteienwahl
Antragsteller
Dr. Fabian Michl
Fachliche Zuordnung
Öffentliches Recht
Förderung
Förderung seit 2025
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 564330865
Die Untersuchung rekonstruiert den Einfluss der Paradigmen „Personenwahl“ und „Parteienwahl“ auf die Gestaltung des deutschen Wahlrechts. Anstelle der üblichen Differenzierung zwischen Mehrheits- und Verhältniswahl entfaltet sie ein neues Deutungsschema, das die repräsentationstheoretischen Grundlagen des Wahlrechts in den Mittelpunkt rückt. In diesem Schema zeigt sich, dass Wahlrechtsgestaltung nicht allein eine Machtfrage ist, sondern auch von Repräsentationsvorstellungen geprägt wird, die sich zu wahlrechtlichen Paradigmen verdichten: auf der einen Seide das Paradigma der Personenwahl, nach dem es darum geht, die besten Persönlichkeiten ins Parlament zu bringen, auf der anderen Seite das Paradigma der Parteienwahl, das in der Wahl den Ausdruck parteipolitischer Präferenzen sieht. Die Studie zeigt differenziert auf, wie die Akteure der Wahlrechtsgestaltung – Parlamente, Regierungen, Parteien, aber auch Gerichte – von diesen gegensätzlichen Paradigmen beeinflusst werden. Obwohl machtpolitische Interessen häufig eine Rolle spielen, sind sie selten allein maßgeblich für eine bestimmte Ausgestaltung des Wahlsystems. Durch die Unterscheidung von Machtinteressen und Paradigmen bietet die Untersuchung eine Grundlage für eine theoretisch fundierte Kritik des Wahlrechts, die über den traditionellen Fokus auf Machtfragen hinausgeht. Sie will damit zugleich einen Beitrag zu einer wissenschaftlich informierten Wahlrechtspolitik leisten, ohne jedoch selbst Politik zu betreiben. Die Untersuchung nimmt eine verfassungshistorische Perspektive ein: Sie verfolgt den Einfluss der Paradigmen des Wahlrechts von den ersten modernen Wahlen bis heute. Grundlage bildet ein Phasenmodell, das sich an der jeweiligen Dominanz der Paradigmen orientiert. In der ersten Phase dominiert die Personenwahl, die aber mit der Etablierung organisierter Parteien zunehmend unter Druck gerät. Der Paradigmenwechsel zur Parteienwahl vollzieht sich um die Wende vom 19. auf das 20. Jahrhundert. Er wird in der Weimarer Republik konsolidiert, in der die Parteienwahl dominiert. Der zweite Paradigmenwechsel vollzieht sich nach dem Zweiten Weltkrieg und mündet in ein spannungsvolles Nebeneinander von Parteien- und Personenwahl in der jungen Bundesrepublik. Stabilisiert wird diese Paradigmenkonkurrenz vor allem durch das Bundesverfassungsgerichts, dessen Wahlrechtsjudikatur historisch-kritisch eingeordnet wird. Der dritte Paradigmenwechsel setzt mit der Ausdifferenzierung des Parteiensystems in den 2000er Jahren ein und weist wieder in Richtung Parteienwahl. Seinen vorläufigen Abschluss hat er mit der Wahlrechtsreform 2023 gefunden, die durch das Bundesverfassungsgericht 2024 bestätigt wurde. Obwohl der Untersuchungszeitraum damit bis in die Gegenwart reicht, schafft der verfassungshistorische Zugriff eine analytische Distanz und macht die Untersuchung anschlussfähig für Wahlrechtsdiskurse jenseits der tagespolitischen Auseinandersetzung.
DFG-Verfahren
Publikationsbeihilfen
