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Die Rolle der Jugend in der „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung im Iran: Die Politisierung jugendlicher Kollektividentitäten und die Entstehung neuartiger Dissenskonfigurationen im postreformerischen Iran
Antragsteller
Dr. Abbas Jong
Fachliche Zuordnung
Politikwissenschaft
Asienbezogene Wissenschaften
Sozialpsychologie und Arbeits- und Organisationspsychologie
Asienbezogene Wissenschaften
Sozialpsychologie und Arbeits- und Organisationspsychologie
Förderung
Förderung seit 2025
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 572626407
Diese Forschung untersucht die Entstehung, Politisierung und Mobilisierung neuartiger jugendlicher Kollektividentitäten im postreformerischen Iran, die im Aufstand der „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung (FLF) 2022–2023 gipfelten. Sie grenzt sich kritisch von vorherrschenden wissenschaftlichen Deutungen ab, die die Besonderheit der Bewegung auf symbolische, genealogische, isoliert-strukturelle oder ästhetische Merkmale reduzieren, und argumentiert stattdessen, dass es sich bei FLF um einen strukturellen wie subjektiven Bruch in der Protestlandschaft des Iran nach 2009 handelt. Auf Grundlage des Modells der politisierten kollektiven Identität (PCI) und der meso-theoretischen Konzeption kollektiver Identität wird „Neuartigkeit“ nicht als vorausgesetztes Merkmal, sondern als empirisch nachvollziehbarer und historisch situierter Prozess verstanden–hervorgebracht durch die sich wandelnde Schnittstelle von autoritärer Restrukturierung, sozio-räumlicher Marginalisierung, affektiver Solidarität, globalen Verflechtungen und informellen Infrastrukturen des Dissens. In einer zweiphasigen empirischen Untersuchung wird zunächst die Herausbildung informeller sozio-räumlicher Konfigurationen an den urbanen Rändern Irans in den 2010er-Jahren analysiert–Räume, die durch die Ausgrenzung von Jugendlichen und Frauen aus dem formellen öffentlichen Leben geprägt, zugleich aber in globale kulturelle und digitale Netzwerke eingebettet waren. In diesen Konfigurationen entwickelten sich neue Identitätspraktiken durch alltägliche Auseinandersetzungen mit Macht, Ausschluss und Subversion. In einem zweiten Schritt wird untersucht, wie diese Identitäten zwischen 2021 und Anfang 2023 unter verschärfter Repression politisiert und schließlich im FLF-Aufstand öffentlich artikuliert wurden. Basierend auf 45 biografisch-narrativen Tiefeninterviews mit jungen Aktivist_innen (25 Frauen, 20 Männer), diskursgeschichtlicher Analyse (DHA), einem Ereignis- und Protestkatalog sowie digitalen und visuellen Archivdaten rekonstruiert die Studie den Weg von marginaler Informalität zur revolutionären Artikulation. Damit bietet sie einen umfassenden und analytisch präzisen Rahmen, um FLF nicht als bloße Fortsetzung früherer Protestzyklen zu deuten, sondern als paradigmatische Neukonfiguration politischer Subjektivität, urbaner Auseinandersetzung und kollektiven Widerstands im zeitgenössischen Iran.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen
