Bewegungsanalytische und biomechanische Modellierung der Handhabung delikater Objekte
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das DFG-Projekt "Bewegungsanalytische und biomechanische Modellierung der Handhabung delikater Objekte" befasste sich mit der Untersuchung des Bewegungsverhaltens von Menschen während der Handhabung delikater Objekte. Der Transport instabiler Objekte und die Montage scharfkantiger Clipse wurden als zwei Beispiele aus einer Fülle von delikaten Objekten zur Untersuchung ausgewählt. Mit dem DFG-Projekt "Bewegungsanalytische und biomechanische Modellierung der Handhabung delikater Objekte" sollten wichtige, sowohl grundlagenorientierte als auch industrierelevante Forschungslücken in der kinematischen und kinetischen Analyse delikater Objekte geschlossen werden. Die delikaten Objekte wurden dabei als Arbeitsgegenstände definiert, die wegen ihrer besonderen Form und Beschaffenheit eine außerordentlich sorgfältige Manipulation erfordern. Zu delikaten Objekten zählen in der Literatur z.B. scharfkantige, verletzungsgefährdende oder zerbrechliche Arbeitsobjekte. Ebenso gehören dazu gefettete Teile, Objekte mit sehr niedriger oder sehr hoher Oberflächentemperatur, flexible Teile bzw. Objekte, die Flüssigkeiten enthalten. Dieses Projekt konzentrierte sich auf die Untersuchungen ergonomischer Bedingungen bei der Handhabung instabiler, scharfkantiger und rutschiger Objekte. Mit der Auswahl dieser Attribute aus der Fülle delikater Objekte sollten unterschiedliche Aspekte der Handhabung genauer untersucht werden. Erstens sollten die vorhandenen, experimentell erhobenen Daten über die Handhabung instabiler Gegenstände (mit Flüssigkeit gefüllte Gegenstände), die im Rahmen des DFG-Projekts "Integration von Bewegungsdaten ausgewählter Ganzkörperbewegungen in ein digitales Menschmodell" im Labor erhoben worden waren, benutzt werden, um Arbeitsgestaltungsleitlinien zur Handhabung instabiler Objekte abzuleiten. Diese Leitlinien sollten den Transport instabiler Gegenstände in Bezug auf Arbeitsabläufe, muskuläre und psycho-mentale Beanspruchung repräsentieren. Zweitens sollten die Einflüsse der Scharfkantigkeit und Rutschigkeit auf den Zeitaufwand der einzelnen Elemente der Clipsmontage untersucht werden. Darüber hinaus sollten die Muskel- und Hautbeanspruchung während der Montage scharfkantiger Clipsverbindungen analysiert werden. Dadurch sollten letztendlich alle Ergebnisse der Bewegungsanalyse und der biomechanischen Untersuchungen bei der Entwicklung neuer Clipse mit einfließen. Weiterführend war eine Handlungsanleitung zur Konstruktion ergonomie-gerechter Clipse zu entwerfen. Die Ergebnisse beider Untersuchungen (Transport instabiler Gegenstände und Montage von Clipsen), bezüglich Bewegungszeit und Muskelbeanspruchung, sollten einen Beitrag zur Entwicklung eines auf statistischer Auswertung basierten Modellansatzes zur Beschreibung des menschlichen Verhaltens bei der Handhabung delikater Objekte leisten. Weiterhin sollten Ergonomiedaten zur Modellierung und Simulation menschlicher Bewegungen bzw. humanoider Roboterbewegungen zur Verfügung gestellt werden. Für die Untersuchungen wurden Laborstudien (Bewegungsanalyse und Analyse der Muskelbeanspruchung), Befragungen sowie die rechnergestützte Simulation verwendet. Die Bewegungsdaten von Versuchspersonen wurden während des Transports instabiler Objekte und der Montage scharfkantiger Clipse mit einem 3-Kamera-System durch weiße Marker, platziert an Schultergelenk, Ellenbogengelenk und Handgelenk, erfasst und anhand der APAS-Software (Abtastrate 50Hz) analysiert. Zur Ermittlung der Muskelbeanspruchungen wurden Elektromyogramme (EMG) mittels PAR-Port-System gemessen und die normierte elektromyographische Aktivität der jeweiligen Muskeln (sEA) ausgewertet. Nach jeder Laborstudie wurden Probanden hinsichtlich des Einflusses von untersuchten Parametern auf die empfundene Beanspruchung befragt. Die Analyse der Hautbeanspruchungen während der Montage scharfkantiger Clipse erfolgte rein rechnergestützt durch die Finite-Elemente-Methode. Die Ergebnisse der Bewegungsstudien zeigten, dass die instabilen Objekte in allen Bewegungsphasen signifikant vorsichtiger (langsamer) transportiert wurden, wahrend scharfkantige Clipse, im Vergleich zu den nicht scharfkantigen Clipsen, lediglich beim Fügen mehr Zeit brauchten. Die Ergebnisse der EMG-Messung zeigten, dass beim Transport instabiler Objekte sowohl die Oberarmmuskulatur als auch die Schultermuskulatur, im Gegensatz zu stabilen Objekten, signifikant mehr beansprucht wurden. Signifikanz trat ebenfalls bei der erhöhten Beanspruchung der Oberarmmuskulatur und Daumenmuskulatur während der Montage scharfkantiger Clipse auf. Weiterhin wurden die Zielentfernung und die Fügekraft als signifikant beeinflussende Parameter auf die untersuchten Muskelgruppen aus den Untersuchungen für den Transport instabiler Objekte und die Montage scharfkantiger Clipse festgelegt. Mit der Analyse der Wechselwirkung in beiden Studien konnte jeweils die gemeinsame Wirkung zweier unabhängiger Variablen (Zielentfernung und Füllstand in erster Studie, Fügekraft und Scharfkantigkeit in zweiter Studie) auf die abhängigen Variablen (Zeit und Muskelbeanspruchung in beiden Studien) überprüft werden. Die Ergebnisse der Wechselwirkungen wurden bei der Entwicklung des Modellansatzes zur Beschreibung der Handhabung delikater Objekte verwendet. Dabei wurden die Einflüsse einzelner Parameter und das Zusammenwirken von zwei Parametern in der jeweiligen Studie des Modellansatzes zusammengeführt. Die Auswertung der Befragungen in beiden Untersuchungen zeigte einen signifikanten Einfluss der jeweils untersuchten Parameter auf die empfundene Beanspruchung. In der ersten Studie wurde der Füllstand und in der zweiten Studie die Scharfkantigkeit als signifikant beeinflussender Parameter festgelegt. Die Ergebnisse der empfundenen Beanspruchung stimmten mit den Ergebnissen der durchgeführten Finite-Elemente-Simulation überein. Die Ergebnisse der Simulation wiesen zusätzlich daraufhin, dass die Hautbeanspruchung ebenfalls von weiteren Parametern wie z.B. Materialeigenschaften von Clipsen, Alter, Geschlecht, Anthropometrie und Berufsgruppe abhängig ist. Bezüglich der Zusammenarbeit zwischen dem lAD (Institut für Arbeitswissenschaft) und dem SIM (Simulation, Systemoptimierung und Robotik) ist zu berichten, dass die 2. Phase der beiden durch die DFG geförderten Projekte von beiden Kooperationspartnern sehr zeitversetzt durchgeführt wurde. Infolgedessen werden die im lAD-Projekt ermittelten Ergebnisse Anregungen für die Ausrichtung der im Projekt entwickelten Methoden im Hinblick auf deren zukünftige Anwendbarkeit in der Ergonomie sowie für relevante, ergonomische Anwendungsproblemstellungen in der jetzt begonnenen 2. Phase vom SIM geben. Aus den durchgeführten Untersuchungen hinsichtlich des Transports instabiler Objekte können Aussagen zur Optimierung der Handhabung flüssiger Arbeitsobjekte getroffen werden. Es ist jedoch zu erwähnen, dass in der Studie der Einfluss von Gewicht und Griffbedingungen auf die Instabilität und demzufolge auf das Bewegungsverhalten von Menschen nicht untersucht wurde. Diese Forschungslücke könnte mit späteren Untersuchungen geschlossen werden. Darüber hinaus können in Zukunft Untersuchungen mit weiteren instabilen Objekten, wie z.B. pulverförmigen Objekten, durchgeführt werden. Damit können Aussagen zur Bewegung instabiler Objekte gegebenenfalls generalisiert werden. Die Ergebnisse der Laborstudien und der Simulation mit der Finite-Elemente-Methode zeigen, dass der Fokus weiterer zukünftiger Studien hinsichtlich der Clipsmontage auf die Fügephase gelegt werden sollte. Aufgrund der Ergebnisse dieser Studie (signifikanter Einfluss von Scharfkantigkeit und Fügekraft auf die Fügezeit bzw. auf die Muskelbeanspruchungen an Daumen- und Oberarmmuskulatur sowie die Wechselwirkung zwischen Scharfkantigkeit und Fügekraft) kann eine mathematische Modellierung der Zusammenhänge zwischen Einflussfaktoren und Bewegungszeiten bzw. Muskelbeanspruchungen Sinn machen. Dieses Vorhaben benötigt eine ausführliche und detaillierte Analyse der Fügephase, welche durch zukünftige Studien gezielt verfolgt werden kann. Die Befunde der Studien für Transport instabiler Objekte und Montage scharfkanfiger Clipse sind noch nicht ausreichend, um das Bewegungsverhalten des Menschen bei der Handhabung delikater Objekte umfassend zu beschreiben. Dennoch bietet der entwickelte Modellansatz eine gute Basis für weitere Studien, die in Zukunft zur Vervollständigung des Modells beitragen können.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- 2007, Analysis of horizontal whole body-movements by transporting unstable objects. In: Journal of Occupational Ergonomics 7, 4, 247-263
Diaz-Zeledon, M.; Lin, C.L.; Landau, K.
- 2007, Untersuchung und Analyse ergonomischer Ganzkörper-Bewegungen beim Aufnehmen und Platzieren instabiler Gegenstände. In: 53. Kongress der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft (GfA), 28. Februar - 02. März 2007 in Magdeburg, Tagungsband. Dortmund: GfA Press, 237-240
Diaz-Zeledon, M.; Lin, C.-L.; Landau, K.
- 2008, Clipsmontage - Belastung und Gestaltung. In: P. Scharff" (Hg.): Arbeitsgestaltung für KMU - GfA Herbstkonferenz, TU Ilmenau, Fachgebiet Arbeitswissenschaft, Ilmenau, 313- 318
Salmanzadeh, H.
- 2008, Clipsmontage im Automobilbau In: P. Scharff (Hg.): Arbeitsgestaltung für KMU - GfA Herbstkonferenz, TU Ilmenau, Fachgebiet Arbeitswissenschaft, Ilmenau, 313-318
Landau, K.
- 2008, Handling unstable objects: a kinematic model based on ergonomic issue. In: 2nd International Conference on Applied Human Factors and Ergonomics (AHFE), July 14th - 17th 2008 in Las Vergas (NV, USA)
Diaz-Zeledon, M.; Landau, K.
- 2008, Leistungsmodell für den Transport instabiler Gegenstände. In: Bericht zum 54. Arbeitswissenschaftlichen Kongress vom 9.4.-11.4.2008 an der Technische Universität München hrsg. von der GeseUschaft für Arbeitswissenschaft e. V., Dortmund
Diaz-Zeledon, M.; Landau, K.
- 2008, Leistungsmodell für den Transport instabiler Gegenstände. Zeitschrift für Arbeitswissenschaft, 1, 62-66
Diaz-Zeledon, M.; Landau, K.
- 2009, Beurteilung muskulärer Beanspruchung bei Hand-Arm-Rumpf Bewegungen, die besondere Sorgfalt und Präzision erfordern. Zeitschrift für Arbeitswissenschaft, 3, 257-267
Diaz-Zeledon, M.; Landau, K.
- 2009, Modellierung von Bewegungen und ihre Auswirkungen auf den Menschen bei der Handhabung delikater Objekte. Dissertation, Darmstadt: Technische Universität, Institut für Arbeitswissenschaft, Stuttgart: Ergonomia
Diaz Meyer, M.
- 2009, Productivity Improvement with Snap-Fit systems. In: Industrial Engineering and Ergonomics: Vision, concepts, methods and tools. Schlick, C.M. (Ed). Heidelberg-Berlin: Springer Verlag, 595-608
Laundau, K.; Landau, U.; Salmanzadeh, H.
- 2010, Effect of Grasp-/Contact-Characteristics of Snap Fasteners on Time Requirements and Electromyographic Activity for Snap-Fit Assembly. In: 3rd International Conference on Applied Human Factors and Ergonomics (AHFE), July 17th - 20th 2010 in Miami (Florida, USA)
Salmanzadeh, H.; Diaz-Meyer, M.; Bopp, V.; Landau, K.; Bruder, R.
- 2010, Untersuchung des Einflusses von Griff-/Kontaktbedingungen bei Clipsverbindungen auf die Montagezeit. In: Neue Arbeits- und Lebenswelten gestalten, 56. Frühjahrskongress der GfA, 24. - 26. März in Darmstadt, Tagungsband, Dortmund: GfA-Press, 739-742
Salmanzadeh, H.; Diaz-Meyer, M.; Landau, K.; Bruder, R.
- 2010, Untersuchung des Einflusses von Scharfkantigkeit und Fügekraft auf Fügezeit und muskuläre Beanspruchung während der Clipsarbeit. In: Zeitschrift für Arbeitswissenschaft, 111-121
Salmanzadeh, H.; Diaz-Meyer, M.; Bopp, V.; Landau, K.; Bruder, R.