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Prozessdissoziation von Arbeitsgedächtnisfunktionen bei kognitiven Leistungsstörungen

Antragstellerin Dr. Katrin Göthe
Fachliche Zuordnung Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie
Förderung Förderung von 2007 bis 2014
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 70981007
 
Erstellungsjahr 2014

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Unser Arbeitsgedächtnis (AG), ein System zur kurzzeitigen Speicherung und Verarbeitung von Information, ist in seiner Kapazität begrenzt. Ziel des Projekts stellte die Evaluation des Interferenzmodells (IM, Oberauer & Kliegl, 2006) dar, welches die Kapazitätsbegrenzung des AGs auf zwei spezifische Mechanismen von ähnlichkeitsbasierter Interferenz zurückführt - Interferenz durch Überschreiben einzelner Merkmale, die von Elementen im AG geteilt werden (C, Merkmalsüberlappungsparameter), sowie Interferenz durch Vertauschen ganzer Elemente (σ, Rauschen-Parameter). Weiterhin spezifiziert das Modell einen Parameter, der die Verarbeitungsgeschwindigkeit (r, Rate-Parameter) im AG modelliert. Die Evaluation des Modells und seiner Annahmen wurde im aktuellen Projekt durch zwei Ansätze realisiert. Zum einen wurde Merkmalsüberlappung und die resultierende Überschreibung im räumlichen Teil des Arbeitsgedächtnisses (AGs) als möglicher Mechanismus für Vergessen experimentell untersucht. In verschiedenen Experimenten sollte sich räumliches Material (verbundene Punkte innerhalb eines Rasters) eingeprägt werden und dieses nach einer Zweitaufgabe (auf Punkte innerhalb des Rasters klicken) wiedergegeben werden. Dabei gab es je ein räumliches Objekt in der Erstaufgabe dessen räumliche Merkmale (Punktekoordinaten) verteilt über die räumlichen Objekte der Zweitaufgabe wiederholt wurden. Diese Wiederholung induziert Merkmalsüberlappung mit einem räumlichen Objekt der Erstaufgabe und sollte zu Merkmalsüberschreibung führen. Das sollte die Wiedergabelleistung dieses räumlichen Objekts der Erstaufgabe reduzieren im Vergleich zu anderen räumlichen Objekten der Erstaufgabe, die keine bzw. geringere Merkmalsüberlappung zur Zweitaufgabe hatten. Die Ergebnisse zeigen, dass die Wiedergabeleistung lediglich in einem von 5 Experimenten in der beschriebenen Art reduziert ist. Somit kann derer Merkmalsüberschreibungsmechanismus nicht als Mechanismus herangezogen werden um räumliche AG-kapazitätslimitierung zu erklären. Zum anderen wurde unerwarteten Befunden aus dem ersten Teil des Projekts bezüglich der Gruppe mit Lese-Rechtschreibstörung nachgegangen (erhöhter Rauschen-Parameter aber verringerter Merkmalsüberlappungsparameter im Vergleich zu gesunden Kontrollkindern). Lese-Rechtschreibstörung (LRS, auch Dyslexie) ist eine Teilleistungsstörung. Dyslexische Kinder weisen eine durchschnittliche non-verbale Intelligenz auf, liegen jedoch mit ihren Lese- und Rechtschreibleistungen mindestens 1,5 Standartabweichungen unter dem Erwartungswert ihrer Klassenstufe und unter dem was man auf Grund ihrer Intelligenz erwarten würde. Forschung in den letzten Jahren hat zudem festgestellt, dass dyslexische Kinder im Vergleich zu gleichaltrigen Kindern ohne Störung eine geringere Arbeitsgedächtniskapazität aufweisen. Im aktuellen Projekt wurde die Arbeitsgedächtnisleistung von Kindern mit und ohne Lese-Rechtschreibstörung in einer räumlichen und einer verbal-numerischen Gedächtnisaktualisierungsaufgabe (GAA) erfasst. Das Interferenzmodell mit seinen 3 Parametern wurde an die Daten angepasst und überprüft, ob das die Parameter die Arbeitsgedächtnisleistung von Kindern mit und ohne LRS sinnvoll abbilden. In einer verbalen GAA haben Kinder beider Gruppen Rechenaufgaben gelöst bei denen die Anzahl von Früchten einer, zweier oder dreier Sorte(n) mehrmals innerhalb eines Durchganges aktualisiert wurde. In der räumlichen GAA haben die Kinder die Position eines oder zweier Tiere in einem 3*3 Raster während eines Durchgangs mit Hilfe eines Pfeiles hintereinander im Kopf verschoben. In jedem Experiment sollte am Ende eines jeden Durchganges das Ergebnis (der Rechenaufgabe bzw. Verschiebeaufgabe) wiedergegeben werden. Die ermittelten Genauigkeiten wurden auf die theoretischen Parameter des Interferenzmodells abgebildet und für die Gruppen miteinander verglichen. Der unerwartete Befund, dass für Kinder mit LRS eine geringerer Merkmalsüberlappungsparameter als für Kinder ohne LRS geschätzt wurde, konnte lediglich für die räumliche Domäne, nicht für die verbale repliziert werden. Der Rauschen-Parameter wurde hypothesenkonform höher für dyslexische im Vergleich zu Kontroll- und für jüngere im Vergleich zu älteren Kindern (in beiden Domänen) geschätzt. Allerdings trat ein unerwarteter Befund bezüglich der Verarbeitungsgeschwindigkeit in der verbalen GAA auf, welche sich nicht zwischen den Probandengruppen unterscheiden sollte (gleiche nonverbale Intelligenz, Rechenleistung) jedoch für dyslexische Kinder höher geschätzt wurde. Er wird als Zufallsbefund interpretiert, da die zusätzlich erhobenen psychometrischen Daten den Unterschied in der Verarbeitungsgeschwindigkeit nicht erklären können. Insgesamt mindern die gewonnenen Ergebnisse (keine oder nur geringe Hinweise für Merkmalsüberschreibung, kontraintuitive aber nicht-replizierbare Befunde bezüglich der Dyslexie) die Validität des IMs stark, vor allem dessen Idee der Merkmalsüberschreibung. Die Potsdamer Universitätsmagazine Portal (3/ 2014) sowie Portal Wissen (5/ 2014) haben jeweils einen Bericht über das Projekt veröffentlicht.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2012). Working memory in children: Tracing age differences and special educational needs to parameters of a formal model. Developmental Psychology; 48(2), 459-476
    Göthe, K., Esser, G., Gendt, A., & Kliegl, R.
  • (2013). Working Memory Capacity in a Go/No-Go Task: Age Differences in Interference, Processing Speed, and Attentional Control. Developmental Psychology; 49(9), 1683-1696
    Rodriguez-Villagra, O. A., Göthe, K., Oberauer, K., Kliegl , R.
 
 

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