Bedingungen und Förderung der Diagnose von Fehlvorstellungen im Tutoring
Final Report Abstract
Eine genaue Diagnose von Lernenden durch Lehrende wird als wichtige Bedingung für effektives Unterrichtshandeln betrachtet. Im Tutoring ist es in besonderer Weise möglich, das individuelle Verstehen von Lernenden zu diagnostizieren. Die bisherige Forschung zur Diagnosefähigkeit im Tutoring zeigt allerdings, dass Tutoren das Verstehen von Lernenden häufig nicht akkurat diagnostizieren können. Die Diagnosefähigkeit von Tutoren wurde bislang jedoch nicht in Abhängigkeit von ihrer Lehrerfahrung untersucht. Zudem fehlen Trainingsansätze, die darauf abzielen, die Diagnosefähigkeit von Tutoren zu verbessern. Beide Forschungsdesiderata standen im Mittelpunkt dieses Projekts. In Studie 1 wurde die Diagnosefähigkeit von Tutoren mit und ohne Lehrerfahrung untersucht. Die Ergebnisse zur Diagnosegenauigkeit zeigten, dass Tutoren, unabhängig von ihrer Lehrerfahrung, das in Tests erhobene Verstehen von Lernenden überschätzten. Allerdings diagnostizierten Tutoren mit Lehrerfahrung das Verstehen über einzelne Konzepte von Lernenden genauer als Tutoren ohne Lehrerfahrung. Unterschiede in der Genauigkeit der Diagnose komplexerer Wissensstrukturen von Lernenden zwischen Tutoren mit und ohne Lehrerfahrung wurden allerdings nicht gefunden. Die Ergebnisse zur Interaktion zwischen Tutoren und Lernenden zeigten, dass Tutoren mit Lehrerfahrung bei Lernenden häufiger Wissensdefizite evozierten und häufiger darauf mit scaffolding reagierten als Tutoren ohne Lehrerfahrung. Insgesamt sind die Befunde in Einklang mit den Ergebnissen zur Diagnosekompetenz im herkömmlichen Klassenunterricht. Sie zeigen jedoch auch, dass es sogar Lehrenden mit Lehrerfahrung in idealtypischen pädagogischen Settings wie dem Tutoring schwerfällt, das Verstehen von Lernenden akkurat einzuschätzen. Theoretisch ist anzunehmen, dass es Lehrenden grundsätzlich Probleme bereitet, ihre eigene Sichtweise auf den Lernstoff auszublenden, um aus der Perspektive des Lernenden mögliche Verständnisschwierigkeiten zu antizipieren. Die Ergebnisse haben praktische Implikationen insofern, als dass beispielsweise bei der Ausbildung von Lehramtsstudierenden hinsichtlich ihrer Kompetenz zu einer akkuraten Diagnose von Schülerinnen und Schülern bereits auf mögliche Schwierigkeiten der Diagnose in Einzelunterrichtssituationen eingegangen werden sollte. In Studie 2 wurde ein Training durchgeführt, welches zum Ziel hatte, die Diagnosefähigkeit von Tutoren ohne Lehrerfahrung zu verbessern, indem die Tutoren vor allem solche Strategien im Tutoring einsetzen sollten, die Verstehensaktivitäten von Lernenden evozieren. Die Ergebnisse zeigten, dass sich das Training unmittelbar auf die Aktivitäten der Tutoren auswirkte, da die Tutoren mit Training mehr Wissensdefizite bei den Lernenden evozierten als Tutoren ohne Training. Zudem reagierten die Tutoren mit Training auf diese Wissensdefizite häufiger mit scaffolding als Tutoren ohne Training. Das Training beeinflusste jedoch mittelbar die diagnostische Fähigkeit der Tutoren nicht substanziell, da die Tutoren mit Training das in Tests erhobene Verstehen der Lernenden in ähnlicher Weise überschätzten wie die Tutoren ohne Training. Insgesamt zeigen die Befunde, dass das entwickelte Training effektiv ist, um in einem ersten Schritt die Aktivitäten von Tutoren ohne Lehrerfahrung zu ändern. Dass in einem zweiten Schritt die Änderung der Aktivitäten nicht zu einer substanziell akkurateren Diagnose der Lernenden geführt hat, ist womöglich damit zu erklären, dass die Änderung der Aktivitäten bei den Tutoren so viele kognitive Ressourcen in Anspruch nahm, dass wenige kognitive Kapazitäten frei waren, die die Tutoren für die Diagnose der Lernenden nutzen konnten. Deswegen sollte in weiterer Forschung die Wirksamkeit von Trainings untersucht werden, die über einen längeren Zeitraum die Diagnosekompetenz von Tutoren fördern.
Publications
- (2010). Do tutors’ content knowledge and beliefs about learning influence their assessment of tutees’ understanding? In S. Ohlsson & R. Catrambone (Eds.), Proceedings of the 32th Annual Conference of the Cognitive Science Society (pp. 314-319). New York: Erlbaum
Herppich, S., Wittwer, J., Nückles, M., & Renkl, A.
- (2010, August). Do tutors’ characteristics influence their accuracy at assessing a tutee’s understanding? Conference of JURE (Junior Researchers of the European Association for Research on Learning and Instruction), Frankfurt a. M., Germany
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- (2010, July). Do tutors’ content knowledge and beliefs about learning influence their assessment of tutees’ understanding? 32nd Annual Conference of the Cognitive Science Society, Portland, OR, USA
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- (2010, Juni). Die Diagnose von Fehlvorstellungen im Tutoring: Akkuratheit und Einflussfaktoren. Kolloquium der Abteilung Pädagogische- und Entwicklungspsychologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
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- (2010, September). Die normative Kraft des Richtigen: Wie beeinflusst sie Lehrende bei der Diagnose von Lernenden? Arbeitsgruppe „Kommunikation in computergestützten instruktionalen Settings“ auf dem 47. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, Bremen
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- (2011). Does teaching experience help? Differences in the assessment of tutees’ understanding between teacher tutors and student tutors. In L. Carlson, C. Hölscher, & T. Shipley (Eds.), Proceedings of the 33rd Annual Conference of the Cognitive Science Society (pp. 78-83). Austin: Cognitive Science Society
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- (2011, July). Does teaching experience help? Differences in the assessment of tutees’ understanding between teacher tutors and student tutors. 33rd Annual Conference of the Cognitive Science Society, Boston, MA, USA
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- (2011, September). An examination of the assessment accuracy of teacher tutors and student tutors. 14th Biennial Conference of the European Association for Research on Learning and Instruction, Exeter, United Kingdom
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- (2011, September). Die diagnostische Kompetenz von Lehrkräften und Studierenden im Einzelunterricht: Macht Lehrerfahrung den Unterschied? Vortrag in der Arbeitsgruppe „Bedingungen und Förderung der diagnostischen Kompetenz von Lehrenden“ auf der 13. Fachgruppentagung Pädagogische Psychologie der DGPs, Erfurt
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