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Universität, Wissenschaft und Öffentlichkeit: die Universität Freiburg, ihre Mediziner und Geisteswissenschaftler (ca. 1945-1970)

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2009 bis 2015
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 160671465
 
Erstellungsjahr 2015

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Projekt untersuchte am Beispiel der Universität Freiburg sowie aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen (Medizin sowie Geisteswissenschaften) das Verhältnis von Universität, Wissenschaft und Öffentlichkeit im Zeitraum zwischen ca. 1945 und 1970. Das Thema wurde mittels dreier Fallstudien bearbeitet: Im Teilprojekt A wurde die gesamte Universität in den Blick genommen und die öffentliche Selbstdarstellung der Universität, die in der Öffentlichkeit kursierenden Universitätsbilder und -diskurse analysiert sowie Akteure, Institutionen und Medien, die zwischen Hochschule und öffentlichem Raum vermittelten, identifiziert. Aufbauend auf diese Analyse des Verhältnisses von Universität und Öffentlichkeit untersuchten die Teilprojekte B und C exemplarisch für die Geisteswissenschaften sowie die Medien anhand konkreter Akteure, deren Netzwerken und Forschungen die Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Öffentlichkeit. Es wurde ein weiterführender Beitrag für die bislang nur rudimentär und wenig systematisch bearbeitete Zeitgeschichte der Universität in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erarbeitet. Die Konzentration auf eine Universität ermöglichte die empirische Analyse der räumlichen, gesellschaftlichen und politischen Verflechtungen und die Verbindung von universitäts-, wissenschafts- und gesellschaftsgeschichtlicher Perspektive. Die mit nationalen Entwicklungen kontextualisierten Befunde lieferten Ergebnisse zur gesellschaftlichen Bedeutung von Universität und Wissenschaft in einer zentralen Phase der sogenannten Zweiten Moderne. Wie sich am Beispiel Freiburg zeigte waren Universitäten Widerstandsbastionen, Experimentierfeld und Multiplikatoren in Prozessen demokratischer und liberaler Modernisierung. Es konnten verschiedene Schnittstellen der Interaktion von Universität, Wissenschaft und Gesellschaft (so z.B. Architektur, Festveranstaltungen, lokale und überregionale Presse, Rundfunk etc.) ausgemacht und gezeigt werden, wie Öffentlichkeit als Ressource für Universitäts- und Wissenschaftsentwicklung fungierte. Erst sehr allmählich brach die reservierte Haltung der Universität gegenüber einer breiteren Öffentlichkeit auf. Erst seit Beginn der 1960er Jahre, forciert schließlich durch den Druck der Studentenbewegung, wurden Pressestellen institutionalisiert und die Öffentlichkeitsarbeit professionalisiert. Lediglich wenn ein Imageschaden drohte, wandten sich Universität und beispielsweise auch die Mediziner offensiv nach außen; daneben waren es neue Disziplinen, sowie einzelne professorale Akteure, die sich mit konkreten wissenschafts- und gesellschaftspolitischen Anliegen in den Massenmedien zu Wort meldeten und diese als Ressourcen für die Durchsetzung ihrer Interessen zu nutzen suchten. Paradigmatisch konnten am Beispiel der auch über Freiburg hinaus äußerst einflussreichen Wissenschaftsorganisatoren Ritter, Tellenbach und Bergstraesser unterschiedliche, für die 1950er und 1960er Jahre kennzeichnende Typen professoraler Hochschulpolitik ausgemacht werden. Ähnlich wie bei den Geisteswissenschaftlern waren bei den Freiburger Medizinern erst Vertreter der ab Mitte der 1960er Jahre auf Professuren kommenden Wissenschaftler offener gegenüber Demokratisierungsforderungen, neuen Lehrformen, aber auch gegenüber einer Diskussion mit Laien in medizinischen Fragen. Sowohl hinsichtlich der Entwicklung der Freiburger Geisteswissenschaften wie auch der Medizin zeigte sich an vielen Punkten, wie Wissenschafts- und Universitätsentwicklung mit Politik und Gesellschaft verflochten waren und es hier, entgegen dem Selbstbild autonomer Wissenschaft, vielfache Kooperationsverhältnisse gab. Seit Ende der 1950er Jahre stellten kritische Journalisten eine wichtige Akteursgruppe in der Hochschulpolitik dar. Sie zogen mit Reformkräften in der Universität an einem Strang, legitimierten Expansions- und Erneuerungsforderungen, wobei diese Allianz Mitte der 1960er Jahre aufbrach. Die Abwehrhaltung der Universität gegenüber der von Institutionen wie dem Wissenschaftsrat geforderten Rationalisierung ebenso wie gegen die von den Studierenden vorgebrachten Demokratisierungsforderungen ließen die in der Hochschulpolitik aktiven Journalisten auf Distanz gehen und die Universitäten nun verstärkt als reformunfähige Institutionen zeichnen. Erst der öffentliche und politische Druck forcierte, zusammen mit der seit Ende der 1950er Jahre beklagten Überfüllungskrise, dem massiven Anstieg der Studierendenzahlen, dem Ausbau der Universitäten und insbesondere einem sich seit Mitte der 1960er Jahre vollziehenden professoralen Generationswechsel, eine ganz allmähliche Reform und ansatzweise Demokratisierung der Universität, die letztlich aber Mitte der 1970er Jahre stecken blieb. Dabei zeigte sich, dass die seit Ende der 1950er Jahre eingebrachte Kritik und die geforderten Reformmaßnahmen spätere, in radikalisierter Form vorgebrachte Forderungen der Studentenbewegung bereits vorweg nahmen. Besonders an Freiburg war in den Nachkriegsjahren die Initiative zur Einrichtung eines Studium generale, die eine bundesweite Vorreiterrolle entwickelte, in den 1950er Jahren aber an Interesse in der Studierendenschaft verlor. Seit Ende der 1950er Jahre entfalteten Studierende in Freiburg mit ihren universitären Reformforderungen, mit von Freiburg aus organisierten Aktionen zum Bildungsnotstand 1965 oder der Aktion Student aufs Land eine bundesweit wahrgenommene Aktivität. Freiburg kann somit stellvertretend für die ‚bürgerliche‘ Revolution vor der Studentenbewegung 1968 stehen und ist ein herausragendes Beispiel für die seit Ende der 1950er Jahre aufkommenden Demokratieforderungen an den Universitäten, die mit Beginn der 1960er Jahre dann weitere Fahrt aufnahmen. Ausgemacht werden konnten als universitätsgeschichtliche Zäsuren die unmittelbaren Nachkriegsjahre sowie die Jahre zwischen ca. 1950 und 1957, die durch restaurative Rückbesinnung und Moderne signalisierenden Wiederaufbau gekennzeichnet waren; ferner die Jahre von 1958 bis ca. 1967, die für Erneuerung, Expansion und beginnende Demokratisierung standen, während die Jahre zwischen ca. 1968 und 1975 vor allem durch Polarisierungen geprägt waren. Durchgängig kennzeichnete eine je nach Phase unterschiedlich gefüllte Krisenrhetorik die Diskussion. Weder die hochfliegenden Reformerwartungen, noch die düsteren Katastrophenszenarien bewahrheiteten sich und es zeigte sich eine große Beharrungskraft der Strukturen von Universität und wissenschaftlicher Wissensproduktion.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2012), Berufung und Geschlecht: Berufungswandel an bundesrepublikanischen Universitäten im 20. Jahrhundert, in: Christian Hesse u.a. (Hg.), Professorinnen und Professoren gewinnen: Zur Geschichte des Berufungswesens an den Universitäten Mitteleuropas, Basel: Schwabe, S. 307–352
    Paletschek, Sylvia
  • (2014), Arnold Bergstraesser als Vermittler zwischen Wissenschaft, Politik, Militär und Öffentlichkeit in den 1950er Jahren, in: Sebastian Brandt u.a. (Hg.), Universität, Wissenschaft und Öffentlichkeit in der BRD (1945 bis ca. 1970), Stuttgart: Steiner, S. 219– 243
    Klein, Christa-Irene
  • (2014), Neuigkeiten für „Lieschen Müller“ – Innovationen der Medizin im Stern 1948 bis 1955, in: Sebastian Brandt u.a. (Hg.), Universität, Wissenschaft und Öffentlichkeit in Westdeutschland (1945 bis ca. 1970), Stuttgart: Steiner, S. 301–322
    Prüll, Livia
  • (2014), Universität und Öffentlichkeit in der Expansions- und Reformphase des deutschen Hochschulwesens (1955–1967), in: Sebastian Brandt u.a. (Hg.), Universität, Wissenschaft und Öffentlichkeit in Westdeutschland (1945 bis ca. 1970), Stuttgart: Steiner, S. 115–140
    Brandt, Sebastian
  • (2014), Universität, Wissenschaft und Öffentlichkeit in Westdeutschland (1945 bis ca. 1970), Stuttgart: Steiner
    Brandt, Sebastian/ Klein, Christa/ Kopp, Nadine/ Paletschek, Sylvia/ Prüll, Livia/ Schütze, Olaf (Hg.)
  • (2014), Universität, Wissenschaft und Öffentlichkeit in Westdeutschland 1945 bis ca. 1970: Einleitung, in: Sebastian Brandt u.a. (Hg.), Universität, Wissenschaft und Öffentlichkeit in Westdeutschland (1945 bis ca. 1970), Stuttgart: Steiner, S. 7–38
    Brandt, Sebastian/ Klein, Christa-Irene/ Paletschek, Sylvia/ Prüll, Livia/ Schütze, Olaf
  • Universität und Öffentlichkeit. Das Beispiel der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, 1945–1975, Freiburg 2014
    Brandt, Sebastian
  • (2015), Die Medizinische Fakultät Freiburg 1945 bis 1969/1970. Entwicklungslinien und Protagonisten im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, Frankfurt: Lang 2013
    Kopp, Nadine
 
 

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