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Im Schatten des Szientismus. Zum Umgang mit heterodoxen Wissensbeständen, Erfahrungen und Praktiken in der DDR

Antragstellerin Dr. Ina Schmied-Knittel
Fachliche Zuordnung Empirische Sozialforschung
Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Politikwissenschaft
Förderung Förderung von 2013 bis 2016
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 241864282
 
Erstellungsjahr 2016

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Ziel des Projekts war es, den Umgang mit im weitesten Sinne paranormalen Wissensbeständen und Praxisformen in der DDR zu rekonstruieren. Der zentrale, die weiteren Beobachtungen prädominierende Befund dabei war, dass es auf der Ebene der Alltagswelt im Schatten der szientistisch geprägten Wissensordnung nur wenig zu entdecken gibt: Der nach Kriegsende noch rezente ‚Aberglaube‟, der sich in verschiedensten magischen, aber auch volksmedizinischen Praktiken manifestiert hatte, war innerhalb von zwei Jahrzehnten durch diskursive und administrative Maßnahmen weitgehend eliminiert worden. Deren nachhaltige Wirkung ist nur im Kontext der generellen Nihilierung einer Vielzahl, in Bezug auf die marxistisch-leninistischen Weltanschauung als heterodox interpretierten Wissensbestände und Praxisformen zu verstehen (die sich etwa im religiösen Bereich als forcierte Säkularisierung niederschlug). Zusätzliche Faktoren für den Erfolg der ‚Aufklärungsmaßnahmen‟ des gleichgeschalteten Bildungs- und Mediensystems waren die gesellschaftspolitische Entmachtung der typischen (groß-)bürgerlichen Trägerschicht okkulten Gedankengutes sowie die fehlende Kommerzialisierbarkeit entsprechender Dienstleistungen. Dem administrativen System der gesellschaftspolitischen Kontrolle kam im Untersuchungsfeld eine sachrational durchaus angemessene Rolle zu: Nach der weitgehenden Eliminierung überkommener paranormaler Praxisformen am Ende der sechziger Jahre konnte der institutionelle Aufwand für deren Kontrolle und Unterbindung heruntergefahren werden. Der Kampf gegen die heterodoxe Herausforderung der Paranormalen ging jedoch – dies ist ein weiterer zentraler Befund – auf diskursiver Ebene weiter. Möglich wurde dies durch eine Transformation der Bekämpfung des Aberglaubens im Innern in eine ideologischen Waffe für den andauernden Systemkonflikt: Seit Ende der 1960er Jahre diente der öffentliche Diskurs in der DDR primär der positiven Absetzung der eigenen, als höchst rational empfundenen Wissensordnung von der konstatierten irrationalen Dekadenz westlicher Gesellschaften. Der Sieg der szientistischen Weltanschauung über ‚den Aberglauben‟ war so vollständig, dass selbst nach dem Zusammenbruch der DDR deren Grundannahmen tief im Bewusstsein der ‚ostdeutschen‟ Bevölkerung verankert blieben. Die höchst erfolgreich sozialisierte Abneigung gegen jede Beschäftigung mit im weitesten Sinne paranormalen Fragen hat – eine zusätzliche methodologische Erkenntnis – zu erheblichen Limitierungen bei der historischen Rekonstruktion entsprechender Wissens- und Praxisformen in der Lebenswelt geführt: Es ließen sich nur noch wenige Personen finden, die überhaupt Auskunft über diesen Themenbereich geben konnten bzw. wollten. Hingegen ermöglichten vielfältige Veröffentlichungen und Aktenbestände einen tiefen Einblick in die öffentliche und institutionelle Bearbeitung des Themas in vier Jahrzehnten. Rückblickend kann die weitgehende Auslöschung paranormaler Wissensbestände und Praxisformen in der DDR, je nach Perspektive, als Vollendung der Aufklärung oder als erfolgreiche Durchsetzung einer totalitären Wissensordnung interpretiert werden. Hinsichtlich der kulturellen Abwehr paranormaler Heterodoxien nimmt die DDR auch innerhalb der damaligen ‚sozialistischen Staatengemeinschaft‟ einen herausragenden Platz ein.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2014): Politische Ideologie vs. parapsychologische Forschung. Zum Spannungsverhältnis von Marxismus-Leninismus und Parapsychologie am Beispiel von DDR und UdSSR. Zeitschrift für Anomalistik 14, S. 159-188
    Schneider, M., Anton, A.
  • (2015): Wie “okkult” war die DDR? Skeptiker (1), S. 28-31
    Anton, A., Schmied-Knittel, I.
  • (2016): Drogenfreie Zone. Zur Rauschkultur der DDR. In: M. Schetsche u. R.-B. Schmidt (Hrsg.): Rausch – Trance – Ekstase. Zur Kultur psychischer Ausnahmezustände. Bielefeld: transcript, S. 51-71
    Schmied-Knittel, I.
  • (2016): Institutionalisierung ausgeschlossen… Zum Umgang mit paranormalen Wissensbeständen, Erfahrungen und Praktiken in der DDR. In: A. Lux u. S. Paletschek (Hrsg.): Okkultismus im Gehäuse. Institutionalisierungen von Parapsychologie im 20. Jahrhundert in internationaler Perspektive. Berlin, München: De Gruyter, S. 225-244
    Schmied-Knittel, I., Anton, A., Schetsche, M.
  • Ausgeblendet. ‚Okkulte' Wissens- und Erfahrungsbestände in der DDR. In: Hanna Haag u.a. (Hrsg.): Volkseigenes Erinnern : die DDR im sozialen Gedächtnis. Wiesbaden: Springer VS 2017, S. 181 ff.
    Anton, A., Schmied-Knittel, I., Schetsche, M.
 
 

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