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"Pferdemädchen": Struktur und Sinnlichkeit einer jugendkulturellen Figur

Antragstellerin Dr. Anja Schwanhäußer
Fachliche Zuordnung Ethnologie und Europäische Ethnologie
Förderung Förderung von 2018 bis 2022
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 396475051
 
Erstellungsjahr 2023

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Die symbolische Bedeutung des Pferdes im Soft Capitalism des späten 20. und frühen 21. Jahrhundert ist durch die sogenannten „Pferdemädchen“ zunehmend feminin konnotiert. Als „mädchenhaft“ werden Pferde (und ihre Mädchen) nicht selten belächelt (Mädchen nennen ihre Pferde „Püppi“, „Prinzessin“, „Bro“, „People“, „Ingrid“, „Pony“, „Kollege“, „Muddi“, etc.). In einem klassischen Verständnis ist diese Sprache kein Ausdruck von Vollkommenheit. Doch gemäß der Kritik am hochkulturellen Kulturbegriff des 20. Und frühen 21. Jahrhunderts kann und sollte man auch diese profanen Äußerungen als poetisch lesen. Die ästhetische Kritik der Cultural Studies am hochkulturellen Kulturbegriff (culture is ordinary), auch wenn vielfach als nicht mehr zeitgemäß kritisiert, ist auch für die Repräsentation der Pferdemädchen besonders geeignet. Die jugendkulturelle Figur des „Pferdemädchens“ hat durch diese Forschung maßgeblich an lebensweltlichen Konturen gewonnen. Pferde und ihre Mädchen wurden ‚nach eigenen Maßstäben‘ erforscht. Dabei wurde, wie geplant, eine Forschungsstrategie der „profanen Poetik“ und „poetischen Sprache“ entwickelt, die die jungsdominierte Jugendsubkulturethnografie und die Cultural Studies (Birminghamer Prägung) behutsam aktualisiert. Mit „poetisch“ ist kein Werturteil gemeint, sondern eine bestimmte Beziehung zur Welt, wie es der Begriff der soziosymbolischen Homologie umfasst, und die kritische Reflexion dieser Beziehung. Eine poetische Sprache ist selbstreflexiv, dialogisch, evokativ und sensibel gegenüber Machtstrukturen und Exotisierungen. Es wurde hier nicht nur über, sondern auch mit den Mädchen und Pferden gesprochen – beides ist nicht voneinander zu trennen. Die Studie hat bestätigt, dass Pferde ‚homologe‘ Objekte (Lebewesen) sind, die mit den Mädchen eine soziosymbolische Beziehung eingehen. Eine zentrale kulturelle Praxis ist z.B. emotional labor, an der Mensch und Tier beteiligt ist. Entgegen der Annahme der HAS, bei Reiterhöfen handele es sich um „multi-species-worlds“ (Kirksey/Helmreich 2010) jenseits hierarchischer Strukturen, findet jedoch die emotional labor der Pferdemädchen nicht jenseits solcher Strukturen statt (Mädchen/Junge, Mensch/Tier, oben/unten, etc.). Zwar fordern Pferde und Mädchen diese Strukturen heraus, doch sind sie selbst auch Ausdruck der gesellschaftlichen Ordnung. Ob sich die Mädchen als fürsorglich stilisieren können (und wollen), entscheidet sich innerhalb der „Stallgemeinschaft“. Eine noch unbeantwortete Frage ist dabei, warum die tendenziell repressive Ordnung sich am Ende reinstalliert, obwohl alle Beteiligten (Subkulturen wie parent culture) die (utopische) Überzeugung teilen, dass manche Pferde „lesen und schreiben“ können. Das Besondere dieser Forschung ist dabei, dass sie nicht nur die klassischen Cultural Studies aufgreift und in veränderter Form fortführt, sondern dass sie an einem Beispiel die Kritik konkret umsetzt, sich buchstäblich die Hände schmutzig macht. Dadurch wird präzisiert, was die Kritik an den Cultural Studies forschungspraktisch und ethnografisch bedeutet und wie sie umgesetzt werden kann. Durch die Signifikanz von Pferdemädchen im Soft Capitalism sagen die Ergebnisse nicht nur etwas über die „Stallgemeinschaft“ der Pferdemädchen aus, sondern allgemein über aktuelle kulturelle Prozesse und soziale Dynamiken. Der Begriff der Profanen Poetik und die Methode der Poetischen Sprache wird in Zukunft in Verbindung mit Forschungen im Bereich Ethnografie und historischer Anthropologie weiterentwickelt. Kerstin Mitternacht: Sie schaffen den Prinzen ab und reiten selbst. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 2.1.2022 (basiert auf einem Interview mit Anja Schwanhäußer) Phänomen Pferdemädchen. Vortrag von Anja Schwanhäußer, 9.5.2021, https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/phaenomen-pferdemaedchen-zwischen-jugendkultur-und-klischees Pferdemädchen, in: Alverde. dm-Magazin, August 2022, S. 7. Außerdem hat der Hessische Rundfunk (HR) drei Radio-Interviews mit der Forscherin ausgestrahlt.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2020): „‚Pferdemädchen‘. Popkultur in zentraler Randlage“, in: Egeri, Lisa/Osses, Dietmar, (Hg.): Boten, Helfer und Gefährten. Beziehungen von Mensch und Tier im Wandel. Ausstellungskatalog. LWL-Industriemuseum, Essen: Klartext, 93-100
    Schwanhäußer, Anja
  • (2022): „Wendy et son monde. Ethnographie autour d’un magazin“, in: Corps. Revue interdisciplinaire 20, 147-158
    Schwanhäußer, Anja/Rehders, Levke
    (Siehe online unter https://doi.org/10.3917/corp1.020.0145)
  • (2022): „‚Bist du bissi süß?‘ – Sweettalk auf dem Ponyhof“. In: „Süüüüß!“. ZfK – Zeitschrift für Kulturwissenschaften 1, 69-90
    Schwanhäußer, Anja
    (Siehe online unter https://doi.org/10.14361/zfk-2022-160106)
  • (2023): „Die Wendy und ihre Welt. Eine ethnografische Magazinanalyse“, in: Scheiding, Oliver/Fazli, Sabina (Hg.): Einführung in die Zeitschriftenforschung. Bielefeld: transcript, 431-440
    Schwanhäußer, Anja/Rehders, Levke
    (Siehe online unter https://doi.org/10.14361/9783839451137-028)
 
 

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