Wirksamkeit kognitiver Verhaltenstherapie der Paruresis
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Paruresis (auch: Shy Bladder Syndrome) gilt als eine besondere Form der sozialen Phobie, bei welcher die Betroffenen unter der Unmöglichkeit leiden, auf öffentlichen Toiletten (Kabine und/oder Urinal) in drohender Anwesenheit anderer zu urinieren. Da sich die Patienten bis dato nur selten an Psychotherapeuten wenden, galt die Häufigkeit der Störung lange als sehr selten. Erste epidemiologische Studien verweisen auf eine Prävalenz von 2.8% bei der männlichen Bevölkerung. In der vorliegenden Studie wurde die Wirksamkeit eines kognitiv-verhaltenstherapeutischen Behandlungsansatzes für männliche Paruresis-Patienten überprüft. Die Behandlung bestand aus einer Kombination von insgesamt 12 Gruppen- und Einzelsitzungen (jeweils 90min). Zunächst erhielten die Patienten im Gruppensetting eine Psychoedukation über drei Sitzungen. Die Patienten erfuhren, wie die Blase und die Miktion funktioniert und welche Prozesse vermutlich die Paruresis entstehen bzw. aufrechterhalten. Sodann erhielten sie eine kognitive Vorbereitung auf die Expositionsübungen. Die sich daran anschließenden fünf Einzelsitzungen bestanden aus Konfrontationsübungen auf öffentlichen Toiletten, wobei die Expositionen mit steigendem Schwierigkeitsgrad aufgebaut wurden. Im Anschluss fanden Gruppensitzungen zur kognitiven Umstrukturierung und Rückfallprophylaxe statt. Es wurde eine randomisierte Kontrollgruppenstudie durchgeführt mit einer Wartegruppe als Vergleichsgruppe. Erhoben wurden unterschiedlichste Maße zur psychopathologischen Belastung sowohl in Bezug auf die Paruresis als auch in Bezug auf mögliche komorbide Symtpome. Die Therapie zeigt in ihrer erstmaligen Überprüfung der Wirksamkeit sehr gute Behandlungseffekte: 78.6% der Patienten erfüllen nach der Behandlung nicht mehr die Diagnose einer Paruresis; 79.3%» der behandelten Patienten können im Anschluss an die Behandlung in Anwesenheit eines Diagnostikers irmerhalb von drei Minuten an einem Urinal urinieren (vor der Behandlung konnten dies nur 20.7%). Die Werte der Paruresis Checklist, eines Selbstbeurteilungsverfahrens zur Messung der Symptomausprägung der Paruresis, liegt nach der Behandlung im Schnitt unter dem Cut-Off-Wert. Hierauf bezogen ergibt sich eine Effektstärke der Behandlung von d = 1.2 (Veränderung der Symptome in der Wartegruppe: d = 0.0). Zwar reduzieren sich auch andere psychopathologische Symptome; diese Reduktion lässt sich aber nicht mit Sicherheit auf die Therapie zurückführen. Die Behandlung scheint für alle Patienten gleich wirksam zu sein, d.h. unabhängig davon, wie alt die Patienten sind, welche weiteren Achse-I-Diagnosen sie aufweisen und wie stark die Symptomausprägung der Paruresis zu Beginn der Therapie ist. Es gibt einen Hinweis darauf, dass das gleichzeitige Vorliegen der Diagnose einer Persönlichkeitsstörung den Therapieeffekt einschränken könnte. Dies bedarf allerdings noch weiterer Überprüfung. Als zufalliges Nebenergebnis kann festgehalten werden, dass die lege artis durchgeführte Exposition eine notwendige Voraussetzung für die erfolgreiche Therapie ist. Patienten, die mit einer „klassischen Exposition" behandelt wurden, zeigten keine Veränderungen. Das Therapieprogramm wurde von Medien (auch von Selbsthilfeforen im Netz) und auch von Kliniken mit Interesse aufgenommen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2005). Entwicklung und Überprüfung der Paruresis-Skala (PARS). Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 34, 215-222
Hammelstein, Ph. & Pietrowsky, R.
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(2005). Lass es laufen! Ein Leitband zur Überwindung der Paruresis. Lengerich: Pabst Science Publishers
Hammelstein, Ph.
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(2005). Psychogenic urinary retention ("Paruresis"): Diagnosis and epidemiology in a representative male sample. Psychotherapy and Psychosomatics, 74, 308-314
Hammelstein, Ph., Pietrowsky, R., Merbach, M. & Brähler, E.
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(2006). Is "Shy Bladder Syndrome" (Paruresis) correctly classified as social phobia? Journal ofAnxiety Disorders, 20, 296-311
Hammelstein, Ph. & Soifer, S.
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(2006). Ist männlicher Geschlechtsrollenstress spezifisch für Männer mit paruretischer Symptomatik? Verhaltenstherapie und Verhaltensmedizin, 27, 43-54
Hammelstein, Ph.