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FOR 1120:  Kulturen des Wahnsinns (1870-1930). Schwellenphänomene der urbanen Moderne

Fachliche Zuordnung Geisteswissenschaften
Förderung Förderung von 2008 bis 2016
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 74013535
 
Ziel der Forschergruppe ist es, zu einer Geschichte des Wahnsinns als Feld moderner Urbanität beizutragen. Wir verstehen unter Wahnsinn kulturelle Figurationen, Topografien und Typologien einer modernen Alterität. Dieser Zugriff erlaubt zugleich eine Neubestimmung von Subjektivität und Individuation, die sich in den Jahren zwischen der Gründung des Deutschen Reiches und dem Vorabend des Nationalsozialismus vollzog und den Beginn einer "urbanen Moderne" markiert.
Zentral für unser Forschungsvorhaben ist der Begriff des Schwellenraums. Mit ihm wollen wir die Ausdrucks-, Regulierungs- und Diskursivierungsformen modernen Wahnsinns als urbanes Dispositiv analysieren. Übergangs- oder Schwellenphänomene markieren die Aushandlungsbereiche sehr unterschiedlicher Wissensräume und soziokultureller Lebens- und Erfahrungsbereiche: Biografisch können sie von den Betroffenen und ihren Angehörigen als Einbruch und Dekompensation des Alltags erlebt und verarbeitet werden, politisch von Fürsorge- und Sozialeinrichtungen in Interventions- und Unterstützungsstrategien bürokratisiert werden, institutionell von Heilanstalten durch administrative Regelwerke verwaltet und medizinisch schließlich als psychiatrische Symptomatik konzeptualisiert werden.
Schwellenphänomene des urbanen Wahnsinns werden aber auch in der Literatur, der Malerei und der bildenden Kunst dargestellt und anhand ästhetischer Kriterien ausgehandelt, in Theater, Film und Musik inszeniert und performativ vermittelt, ebenso in Bohemekulturen und Verhaltensstilen artikuliert, als unheimliche Instanz des Übersinnlichen im Okkulten ausgemacht oder auf die Figur des Künstlers projiziert. Anhand der Analyse von Wert- und Handlungsmustern in diesen Schwellenbereichen werden die komplexen Interaktionen zwischen Kranken, Angehörigen, engagierten Laien, teilnehmender Öffentlichkeit, Fürsorgevertretern, städtischen Beamten, Geistlichen, Künstlern, Kulturkritikern und schließlich Ärzten und Wissenschaftlern erfasst. Diese Multiperspektivierung rekonstruiert Phänomene moderner Alterität und erlaubt, sie als urbane Spielarten des Wahnsinns in ihrer kulturellen Wirkmächtigkeit zu untersuchen.
Methodisch zielt die Forschergruppe auf die historische Topografie jener Schwellenphänomene, die den Wahnsinn als urbanes Phänomen in seinen diskursiven, epistemologischen, institutionellen und medialen Dimensionen entfalten. Sie erschließt die Interferenzen zwischen Subjekt- und Kulturgeschichte, zwischen Wissen und Wahn, zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit und eröffnet folglich sehr unterschiedliche Erklärungs-, Deutungs-, Repräsentations- und auch Sinnmuster, die aus den Differenzen kultureller Milieus entstehen und den Bedeutungsraum von Wahnsinn in der sich entfaltenden Großstadtkultur bilden.
DFG-Verfahren Forschungsgruppen
Internationaler Bezug Argentinien

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