Beiträge zur Verwaltungsstruktur und Prosopographie des altsumerischen Stadtstaates von Lagas
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Wirtschaftsarchiv des unter der Aufsicht der jeweiligen Ehefrau des Herrschers stehenden é-mí „Haus(halt) der Frau“ bzw. é-dBa-Ú „Tempel der (Göttin) Ba’U“ bietet mit seinen nun über 1800 bekannten Verwaltungsurkunden aus dem im südlichen Mesopotamien gelegenen Girsu-Lagas (etwa 24. Jh. v.u.Z.), einen hervorragenden Ausgangspunkt für die prosopografische Erforschung des darin verzeichneten Arbeitspersonals und deren sozialer Strukturen. Denn die größtenteils in die Regierungszeit der Könige Enentarzid, Lugalanda(nuḫuĝa) und IriKAgina datierbaren Texte umfassen einen überschaubaren Zeitraum von lediglich ca. 23 Jahren. Durch die Kooperation mit zahlreichen europäischen und außereuropäischen Museen bzw. Institutionen wie dem Louvre (Paris), dem Musée Royal de Mariemont (Morlanwelz), den Musées Royaux d’Art et d’Histoire (Brüssel), den Musée Départemental des Antiquités (Rouen) oder dem World Heritage Center (Laramie, Wyoming) war es möglich, den aktuellen Bestand an keilschriftlichen Tontafeln durch bislang unpublizierte oder „verschollene“ Urkunden bzw. Tontafeln zu erweitern und damit ein noch umfassenderes Textcorpus als Grundlage intensiver prosopografischer Studien zu erstellen. Die umfassenden Studien zu den Personennamen ergaben, dass die altsumerischen Personennamen auf der Inhaltsseite bereits sämtliche Aspekte im täglichen Lebens des altorientalischen Menschen im Spannungsfeld von Alltag, Herrschaft und Religion reflektieren, wie sie auch in anderen weitaus jüngeren antiken Namencorpora, wenngleich in anderer Form, erkennbar sind. Die bezeugten Personennamen weisen das ganze Spektrum morphologischer Grundtypen auf, von einstämmigen bzw. komplexe(ren) Vollnamen, über Kurznamen bzw. verkürzte Vollnamen bis hin zu Hypokoristika (Kosenamen) und Lallnamen, wobei unter Vorbehalt auch besondere Namenkategorien wie Thronnamen, Gamonyme (= nach der Heirat angenommene Namen) oder Höflingsnamen bezeugt sind. Angesichts der Fülle der in den Wirtschaftstexten dokumentierten Personen(namen) mit über 25.000 Einträgen überrascht die vergleichsweise geringe Zahl der namentlich ungenannt bleibenden Individuen, die in der Regel mittels klassifizierendem Appellativ (z.B. Waise, Kind, Witwe oder entsprechender Beruf) identifiziert werden. In den sog. Familienlisten werden sogar sämtliche Familienmitglieder mit Namen und Status innerhalb der Familie benannt. Gerade diese spezifischen Appellative erlauben es nun, insbesondere bei populären Namentypen wie z.B. Ur-dBa-Ú „Hund (i.e. Diener) der (Göttin) Ba’U“, die zahlreichen Belege auch eindeutig verschiedenen Namensträgern zuzuordnen, vor allem dann, wenn keine Datumsangabe nach Regierungsjahr des jeweiligen Herrschers vorhanden ist. Zu den populär(st)en Namentypen innerhalb des sumerischen Namenbestands zählen nach den gewonnenen Erkenntnissen speziell jene, die als Vorderglied die Lexeme En(–) „Herr“, Nin(–) „Herrin“, Lugal(–) „König, Herr“ sowie Ur(–) „Hund (i.e. Diener)“ besitzen. Diese Elemente dienen vornehmlich als Synonyme für den Stadtgott von Lagas, Ningirsu (= En), seine Gemahlin Ba’U (= Nin) und den weltlichen Herrscher (= Lugal). Die für das sumerische Namencorpus durch das Forschungsvorhaben gewonnenen Einsichten und Ergebnisse unterstreichen die in der Wissenschaft oftmals unterschätzte lexikalische und grammatikalische Relevanz von Eigennamen im allgemeinen und Personennamen im besonderen, wie sie sich für das antike Mesopotamien seit den Personennamenlisten der archaischen Texte aus Uruk (etwa 3000 v.u.Z.) und der namentlichen Erwähnung von Personen als Käufer und Verkäufer in den ältesten Rechtsdokumenten (28 Jh. v.u.Z.) nachweisen lässt. Das im Ergebnis gewonnene sumerische Namenbuch stellt daher nicht nur für den Bereich der Assyriologie, sondern auch für verwandte Forschungsdisziplinen und komparatistisch ausgerichtete Namenstudien ein wesentliches Hilfsmittel und detailliertes Nachschlagewerk zugleich dar.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- „Präsargonische Miszellen (II): Zu den Personennamen des Typs GN/NP-da-nu-me-a“, in: N.A.B.U. 2009:64 (S. 83–86)
Thomas Emanuel Balke
- „Präsargonische Miszellen (I): Die präsargonischen Texte der Sammlung „Valère Mabille“ aus Mariemont“, in: N.A.B.U. 2009:54 (S. 71–73)
Thomas Emanuel Balke
- „Die religiösen ‚Titel’ Pa4-pa4 und NI-a-a im altsumerischen Onomastikon“, in: KASKAL 8 (2011), 1-10
Thomas Emanuel Balke
- „Eine neue Verwaltungsurkunde aus Girsu“, in AoF 38 (2011), 1-11
Thomas Emanuel Balke
(Siehe online unter https://doi.org/10.1524/aofo.2011.0001)