Wissensmodelle der Matière de Bretagne. Epistemologische Darstellungskonzepte und -verfahren im zeitgenössischen französischen Artusroman
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt ging von der Ausgangsbeobachtung eines international zu verzeichnenden ‚académisme romanesque‘ aus, der sich in jüngerer und jüngster Zeit – von der Forschung weitgehend unbemerkt – zu einem gewichtigen Zweig der seit den 1970er-Jahren (nicht nur) in Italien und Frankreich zu beobachtenden Erinnerungskonjunktur des Mittelalters entwickelt hat. So treten, sicher auch im Gefolge des 1980 publizierten Welterfolgs Il nome della rosa von Umberto Eco, in den letzten vier Dekaden überaus häufig Akademiker als Romanciers an die literarische Öffentlichkeit, deren Romane eine ausgeprägte Vorliebe für mittelalterliche ‚Settings’ und/oder im Mittelalter beheimatete literarische Stoffe aufweisen. Dabei ist auffällig, dass sich diese Romane, wie etwa jene Sophie Cassagnes-Brouquets, Michel Rios, Jacques Roubauds oder Michel Zinks durch eine besonders hohe epistemische Dichte auszeichnen, die das Verhältnis von Wissen und Glauben resp. Wissen und ‚Nicht-Wissen-Können’ ebenso betrifft wie das von (literatur)historischem Fach- und Faktenwissen einerseits und fiktionaler Gestaltung andererseits. Ihren Romanen eignet mithin eine epistemische Selbstreflexivität, die gerade im Verbund mit Positionsnahmen der entsprechenden Autoren in aktuellen gesellschaftlichen Diskursen um eine Revision diachron gewachsener epistemischer und epistemologischer zu den Fragen führt, ob und inwiefern sie die in ihnen entfalteten Mittelalter- und Frühe Neuzeit-Bezüge zu einer Verhandlung der Möglichkeiten, Strukturen und Grenzen zeitgenössischen Wissens nutzen respektive auf welche Weise die Vergangenheit in epistemologischer, wissenschafts- und literaturhistorischer Hinsicht funktionalisiert wird, um zeitgenössische Auffassungen von Wissen modellhaft vorzuführen und in historischer Perspektive kritisch zu verhandeln. Diesen Fragen anhand einer eingehenden, gleichermaßen narratologisch und kulturanalytisch orientierten Untersuchung der Romane sowie einer Auswertung produktions- und rezeptionsästhetischer Materialien zu klären, hatte sich das Projekt zum Ziel gesetzt. Die durchgeführten Arbeiten zu den Mittelalter- und Frühe Neuzeit-Romanen Umberto Ecos, der Artustrilogie Michel Rios und dem in Frankreich und Italien gleichermaßen beliebten Subgenre des mittelalterlichen Kriminalromans (Cassagnes-Brouquet, Eco, Roubaud, Zink) haben dabei sämtlich die Ausgangshypothese des Projekts bestätigen können, derzufolge in den entsprechenden Romanen weniger die Vermittlung eines ‚gelehrten’ Wissens im Zentrum steht – auch wenn diese gleichsam en passant mit erfolgen kann und auch erfolgt –, als die auf einer viel abstrakteren Ebene zu verortende und mittels entsprechender Bezüge auf Mittelalter und Frühe Neuzeit in historischer Perspektive erfolgende Verhandlung und Problematisierung gegenwärtiger Wissensstrukturen und -konzepte. Wählt Eco dabei bevorzugt Epochen epistemischer und epistemologischer Umbrüche zum Schauplatz der Handlung, um anhand der Phänomene ‚Magie‘ und ‚Wunder‘ die Historizität, Fehlbarkeit und Relativität menschlichen Wissens gleichsam am historischen Beispiel durchzuspielen und durch ironische Verfremdungsverfahren und Brechungen zugleich unmittelbar zu gegenwärtigen Debatten in Beziehung zu setzen, bietet bei Rio und Cassagnes-Brouquet der seit seiner Entstehung zwischen historischen Wurzeln und mythischer Überhöhung oszillierende Stoffkomplex der Matière de Bretagne einen geeigneten Rahmen, den Möglichkeiten der menschlichen Erkenntnis nachzugehen und deren Grenzen sei es durch den programmatischen Verzicht auf sämtliche ‚übernatürlichen‘ Elemente, sei es durch die ebenso programmatische Integration divinatorischer Eingriffe auszuloten. Allen untersuchten Werken eignet dabei eine stark metafiktionale Komponente, die vielleicht nicht – wie im Projekt ursprünglich angenommen – von einem Selbstpositionierungsbedürfnis der Literatur innerhalb sich wandelnder epistemischer Felder zeugt, wohl aber als Selbstbewusstsein hinsichtlich des epistemologischen Potentials literarischer Fiktionen zu interpretieren ist. Deutlich zeigt das Projekt damit, in welchem Maße die Literatur als fiktionaler Gestaltungsraum auch in der Postmoderne ein besonderes Potential bietet, auch epistemologische und kulturanthropologische Fragestellungen zu erörtern.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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2009: Guenièvre: reine de Logres – dame courtoise – femme adultère. Paris: Klincksieck (Les grandes figures du moyen âge; 2)
Rieger, Dietmar
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2011: „Das Rhizom-Labyrinth als Wissensmodell in Umberto Ecos semiotischer Theorie und fiktionaler Praxis (Il pendolo di Foucault).“ In: Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte/Cahiers d'Histoire des Littératures romanes 35/1-2, S. 181-201
Meinhardt, Daniela
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2012: „Guenièvre littéraire: femme multiforme entre sexualité, pouvoir et sagesse.“ In: Cahiers de Recherches Médiévales et Humanistes 23, S. 259-272
Rieger Dietmar