Entwicklung und Einsatz eines numerischen Modells zur systematischen Untersuchung wirkungsgradrelevanter hydraulischer Phänomene und Sensitivitäten bei Hochleistungswasserrädern
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Weltweit existiert ein gewaltiges ungenutztes Wasserkraftpotential im Bereich niedriger Fallhöhen mit großen Durchflussmengen. In Deutschland umfasst das bisher ungenutzte Potential 1 bis 2 GW und somit ca. 30% der theoretisch nutzbaren nationalen Gesamtwasserkraft. Dabei entfallen ca. 500 MW Leistung auf kleine Wasserkraftanlagen mit installierten Leistungen von je weniger als 1 MW und 850 bis 1200 MW auf mittelgroße Wasserkraftanlagen mit installierten Leistungen zwischen 1 und 100 MW. Dieses Verwertungspotential liegt im Bereich der Laufwasserkraft bei Fallhöhen von 0,4 bis 4,0 m und Durchflussmengen von 5 bis 500 m3/s. Das attraktive Wasserkraftsegment großer Durchflusse (5 bis 100 m3/s) ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt durch existierende Technologien (z.B. Turbinen) in wirtschaftlicher Weise nicht erschlossen, entspricht jedoch dem zuvor beschriebenen ungenutzten Wasserkraftpotential, welches typisch ist fur Flachland- bzw. Auenflüsse. Für genau diesen offenen Nutzungsbereich sind aktuell Hochleistungswasserradtechnologien in der Erforschung und Entwicklung, die bei hoher Umweltfreundlichkeit und Effizienz, ein turbinennahes Schluckvermögen und ein großes ganzjähriges Arbeitsvermögen realisieren. Gerade für Flachlandflüsse sind große Arbeitsbereiche der Wasserkraftanlagen zu ermöglichen, da Fallhöhe und Durchfluss jahreszeitlich variablen Bedingungen unterworfen sind. Hochleistungswasserräder weisen das erforderliche große Arbeitsvermögen auf (bei 10 bis 150% Durchflussvariation und 25 bis 180% Variation der Fallhöhe) und können maximale Durchflussmengen von 15 bis 60 m3/s pro Maschine verarbeiten. Zur Untersuchung und Optimierung des ganzjährigen Arbeitsbereiches solcher Hochleistungswasserkraftanlagen sind numerische Prognosemodelle von großem Nutzen, wenn sie die Wechselwirkung von drehender Wasserradstruktur und Freispiegelströmung wiedergeben können. Ziel des Forschungsvorhabens war daher die Entwicklung eines numerischen Modells zur systematischen Untersuchung der wirkungsgradrelevanten hydraulischen Phänomene und Sensitivitäten am Energiekonverter Hochleistungswasserrad, um darauf aufbauend die Herleitung wirkungsgradhebender konstruktiver Maßnahmen bei der Gewinnung regenerativer Energie aus Wasserkraft zu ermöglichen. Die Analyse des Wirkungsgrades radgetriebener Wasserkraftanlagen kann somit unter Berücksichtigung der diesem Antriebssystem inhärenten Wechselwirkung von Freispiegel-Wasserströmung und drehbarem, generatorgekoppelten Schaufelrad erfolgen. Die Modellbildung des mechanischen Gesamtsystems einer Wasserradanlage erfolgte als gekoppeltes Mehrfeldproblem, bestehend aus dem als Starrkörper idealisierten Schaufelrad mit einem rotatorischen Freiheitsgrad und der umgebenden Freispiegelströmung. Um die Strömungssituation in der Wasserkraftmaschine, insbesondere beim Eintritt in die Schaufelzwischenräume, wirklichkeitsnah abbilden zu konnen, ist die Erfassung von topologischen Änderungen der freien Oberfläche erforderlich. Dies gelingt mit dem Ansatz einer impliziten Gebiets- und Grenzflächenbeschreibung auf Basis der Level-Set-Methodik in Kombination mit der Beschreibung der Strömungsvorgange im Wasserrad als inkompressible Zwei-Fluid-Strömung. Die strenge Kopplung von Drehfreiheitsgrad und Geschwindigkeitszustand am Interface zwischen Fluid und Starrkörper ist mit dem Randspannungszustand als Langrangeschem Multiplikator beschrieben. Die Modellannahmen führen auf ein gekoppeltes System von nichtlinearen partiellen Differentialgleichungen in Raum und Zeit. Die approximative Lösung des Differentialgleichungssystems gelingt mit der Methode der gewichteten Residuen und der uniformen Diskretisierung der resultierenden Integralgleichung mit finiten Elementen in Raum und Zeit. Um im Kontext der Fluid-Struktur-Interaktionsaufgabe die Berücksichtigung aneinander vorbeigleitender Fluidgebiete (Netzrotation) zu gewährleisten, wurde das auf der Raum-Zeit-Finite-Elemente-Methodik basierende Berechnungskonzept für die konsistente Erfassung drehender Teilberechnungsnetze ertüchtigt. Hierzu wurde das Verfahren der ST-SSMUM (space-time shear slip mesh update method) entwickelt und deren numerische Eigenschaften im Vergleich zum Verfahren der SSMUM untersucht. Die methodisch-numerischen Arbeiten wurden durch Experimente zum realen Freispiegel-Strömungszustand an einem maßstäblichen Modellwasserad ergänzt, die der Kalibrierung und Validierung des Modells dienen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Developments in mesh-moving and mesh-update schemes for space-time finite element discretisations of fluid flows. In 4th GACM Colloquium on Computational Mechanics, 2011
H. Schippke and A. Zilian
- Modification of the shear-slip mesh update method with respect to spacetime finite element discretisation of fluid flows. In A. Andrade-Campos et al. editors, First ECCOMAS Young Investigators Conference (YIC 2012). ECCOMAS, April 2012. Aveiro, Portugal
H. Schippke and A. Zilian
- Space-time shear-slip mesh update method for fluid-structure interaction problems. In J. Eberhardsteiner, editor, European Congress on Computational Methods in Applied Sciences and Engineering (ECCOMAS 2012). ECCOMAS, September 2012. Vienna, Austria
H. Schippke and A. Zilian
- Methodenentwicklung zur numerischen Strömungsanalyse von Schaufelwasserrädern. Proceedings in Applied Mathematics and Mechanics (PAMM), 13:223-224, 2013
H. Schippke, C. Seidel, A. Zilian, and D. Dinkler
- Numerical Analysis of Free-Surface Flow through Rotating Machines. In 5th GACM Colloquium on Computational Mechanics, Hamburg, 2013
H. Schippke, A. Zilian, and C. Seidel
- Space-time shear-slip mesh update method for fluid-structure interaction problems. In V. Conference on Computational Methods for Coupled Problems in Science and Engineering (COUPLED 2013), Ibiza, Spain, 2013
H. Schippke and A. Zilian
- Methodenentwicklung zur numerischen Strömungsanalyse von Freispiegelströmungen bei Schaufelwasserrädern. GAMM 2014, Erlangen, März 2014
H. Schippke, C. Seidel, D. Dinkler and A. Zilian
(Siehe online unter https://doi.org/10.1002/pamm.201410235)