Auswertung der metallenen Kleinfunde aus den Grabungen der Abteilung Rom des DAI auf der Agora von Selinunt (Sizilien)
Final Report Abstract
Die Abteilung Rom des Deutschen Archäologischen Instituts hat zwischen 1995 und 2007 unter der Leitung von Dieter Mertens auf der Agora der griechischen Koloniestadt Selinunt im Südwesten Siziliens umfangreiche Flächengrabungen durchgeführt, bei denen auch eine große Zahl metallener Kleinfunde zutage gekommen ist. Mit 1137 Objekten, die im Katalog erfasst sind, bildet dieser Komplex nicht nur den bislang umfangreichsten und vielfältigsten aus dem griechischen Westen, sondern zugleich den ersten umfassenden Kleinfundbestand aus einer griechischen Polis archaischer Zeit, der monographisch vorgelegt wird. Die meisten Stücke aus Selinunt können in die Stratigraphie auf der Agora eingehängt und über den Fundkontext präzise datiert werden, vor allem solche aus archaischen Straten. Ein beträchtlicher Teil der Metallfunde stammt aus dem späten 7. und 6. Jh. v. Chr., während Material aus klassischer und hellenistischer Zeit deutlich seltener vorkommt. Vereinzelt begegnen auch Stücke, die älter sind als das von Thukydides überlieferte Gründungsdatum von Selinunt (628 v. Chr.). Das Spektrum der metallenen Kleinfunde, unter denen solche aus Bronze deutlich überwiegen, ist breit gefächert. Die Herkunftsgebiete sind überaus weit gestreut und decken einen Raum ab, der von Süd- und Zentralfrankreich im Westen bis in den Kaukasus und nach Zypern im Osten reicht. Überraschenderweise spielen Metallfunde griechischer Provenienz im Bestand nur eine geringe Rolle. Besonders stark vertreten ist neben indigen-sizilischem Material auch solches aus dem Gebiet des heutigen Frankreich, doch sind außerdem Etrurien, der mittelitalisch-adriatische Raum, Kleinasien, der Kaukasus und Zypern mit charakteristischen Objekten vertreten. Die Metallfunde aus Selinunt belegen demnach weit reichende Fernkontakte der Stadt in den westlichen und östlichen Mittelmeerraum. Die große Menge der in Selinunt geborgenen Metallgegenstände, ihre Herkunft aus mitunter weit entfernten Regionen und ihr fast durchweg bruchstückhafter Charakter, der häufig auf intentionale Zerstörungen zurückzuführen ist, weisen darauf hin, dass man es hier nicht mit einem „normalem“ Siedlungsniederschlag zu tun hat, sondern dass es sich bei einem beträchtlichen Teil davon um thesauriertes Brucherz handelt, das als Wertspeicher und Tauschmittel, aber auch als Rohmaterial für die Metallverarbeitung dienen konnte. Ab dem 3. Viertel des 6. Jhs. v. Chr. wird das Brucherz in Selinunt und auf Sizilien seltener. Möglicherweise besteht ein direkter Zusammenhang mit dem Beginn der Silbermünzprägung in westgriechischen Koloniestädten zu jener Zeit, die diesem „prämonetären“ System allmählich ein Ende bereitet haben könnte. Die Metallfunde aus Selinunt bilden nicht nur per se einen wichtigen Materialkomplex, der als Bezugspunkt für andere westgriechische Fundplätze dienen kann, sondern liefern auch zahlreiche Anregungen für weitergehende Forschungen, deren Grundlage sie zu bilden vermögen.