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Was ist und was kann ein Gen nicht? Negativbestimmung des ontologischen Status des Gens als Grundlage einer nicht-essentialistischen Biologie

Antragstellerin Dr. Kirsten Schmidt
Fachliche Zuordnung Theoretische Philosophie
Förderung Förderung von 2009 bis 2012
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 117923343
 
Erstellungsjahr 2012

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Im Rahmen des biophilosophischen Projektes „Was ist und was kann ein Gen nicht?“ wurde anhand von aktuellen biologischen Forschungsergebnissen gezeigt, dass weder die einzelnen Gene noch das gesamte Genom eines Lebewesens im Sinne einer kausalen Essenz, d.h. als singulärer Kausalgrund für all seine charakteristischen Eigenschaften verstanden werden dürfen. Denn zum einen haben molekulare Gene nicht die ideale ontologische Beschaffenheit für eine solche Essenz: Im Gegensatz zum essentialistisch interpretierbaren klassisch-molekularen Genkonzept der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts ist der biologische Kenntnisstand heute nicht mehr mit der Vorstellung von Genen als dauerhaften, materiellen Entitäten vereinbar. Wie aus der vergleichenden Analyse moderner Genkonzepte abgeleitet werden konnte, müssen molekulare Gene vielmehr als dynamische und heterogene Prozesse verstanden werden, in deren Verlauf Bereiche der DNA mit zahlreichen genetischen und nicht-genetischen Faktoren interagieren. Und zum anderen kann das genetische Material während der Ontogenese nicht die funktionale Rolle einer kausalen Essenz spielen, da sein Einfluss auf den Entwicklungsprozess in hohem Maße kontextabhängig ist. Welche genetischen und nicht-genetischen Faktoren dabei essentiell und welche akzidentiell für die Entwicklung des Organismus sind, ist nicht eindeutig zu entscheiden. Eine stärkere und explizite Betonung des nicht-essentialistischen Charakters der modernen Biologie und Genetik besonders in der öffentlichen Darstellung ist, wie am Beispiel der Diskussion um die Herstellung biologischer Mensch-Tier-Chimären demonstriert wurde, dringend erforderlich. Denn das Festhalten an essentialistischen Denkmustern, die Genen oder anderen Biomaterialien eine besondere Form von Identität stiftender kausaler Kraft zuschreibt, kann negative Folgen für die öffentliche Wahrnehmung biologischer Forschung haben, indem es moralische Scheinprobleme wie die Sorge um eine Mischung menschlicher und tierlicher Essenzen heraufbeschwört, die zu einer intuitiven Ablehnung der entsprechenden Forschungsvorhaben beitragen. Um eine Vermengung realistischer Bedenken mit unbegründeten Fehleinschätzungen aufgrund von genessentialistische Hintergrundannahmen zu vermeiden, sollten vor allem die in der Gensprache immer noch allgegenwärtigen Text- und Aktivitätsmetaphern nicht unkritisch verwendet oder überstrapaziert werden. Denn wie im Projekt gezeigt wurde, wecken sie vor allem aufgrund des metaphorischen Doppelcharakters des Gens starke genessentialistische Assoziationen. Als neuer gensprachlicher Rahmen, der essentialistische Vorstellungen nicht in dieser Weise nahe legt, wird vorgeschlagen, Text- und Aktivitätsmetaphern soweit möglich durch Metaphern zu ersetzen, die den prozessualen Charakter der Gene und die Heterogenität biologischer Prozesse unterstreichen.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2012): Naturalization as basic requirement for ethical research, in: EurSafe News 14/2, 2-6
    Kirsten Schmidt
 
 

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